Zurück in die Zukunft! 1977 Teil 2

in #deutsch6 years ago (edited)

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Wer das Heute verstehen will, muss in die Vergangenheit blicken.
Ich schließe an den Vortrag, eines in der Physik und auch Politik sehr bekannten Herren, aus dem Jahre 1977 in Davos, nahtlos an.

Den ersten Teil seines Vortrag könnt ihr unter https://steemit.com/deutsch/@zeitgedanken/zurueck-in-die-zukunft-1977-teil-1 nachlesen.

In Teil 2 wird der Vortrag vervollständigt.

Fortsetzung:

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Soziale Revolution:

Von neuem geht ein Gespenst um in Europa, und nicht nur hier, das Gespenst des Kommunismus. Wir müssen aber echte soziale Revolution vom Sowjet-Imperialismus zu unterscheiden lernen.

Vor 10 Jahren ging eine revolutionäre Bewegung wie ein Sturm durch die intellektuelle Jugend der nördlichen Halbkugel, von Berkeley über Paris, Frankfurt, Prag bis Schanghai und Tokio. Mit der Ausnahme Chinas erreichte die Bewegung überall schlechthin nichts. Eine kleine zusätzliche Ausnahme sind vielleicht die westdeutschen Universitäten; da brachte die Studentenrevolte einen Machttransfer in Gang; die Macht wanderte aus der Hand paternalistischer Professoren über die Zwischenstufe ineffizienter zeitvergeudender Mitbestimmungsgremien unausweichlich in die Hand staatlicher Bürokratien. Warum war die Bewegung erfolglos?
Der Prager Frühling hatte intern Erfolg und wurde von außen unterdrückt; das ist ein Kapitel Sowjet-Imperialismus. Warum mißlangen die übrigen Bewegungen innerhalb ihrer eigenen Gesellschaften?
Ohne Zögern billige ich der Bewegung ein Verständnis für einige der tiefen Schwächen unserer Gesellschaft zu, ein Vorgefühl der kommenden Krisen. Aber offenbar läßt sich - entgegen der Erwartung von Marx - eine soziale Revolution gerade in einer hochindustrialisierten kapitalistischen Gesellschaft mit repräsentativer Demokratie und Redefreiheit kaum zuwege bringen. Marrx setze seine revolutionäre Hoffnung auf das Industrieproletariat.

Aber soweit ich sehe, hat es nie in der Welt eine Revolution des Industrieproletariats oder eine Diktatur dieses Proletariats gegeben; es wird wohl auch keine geben. Die aktfeudale bürgerliche Revolution vergangener Jahrhunderte war möglich, weil die Bürger die industriellen Produktionsmittel schon besaßen, ehe sie die politische Macht übernahmen.

Das Industrieproletariat hat die Fabriken nie besessen und kann sie ohne Managerklasse nicht betreiben; man hat es als einen kleinbürgerlich gestellten Verhandlungspartner in den Kapitalismus integriert. Und junge Intellektuelle allein sind kein revolutionäres Potential; nach einiger Zeit werden sie zu Bourgeois, die sie immer waren. Die kommunistische Gefahr in Europa ist nicht immanent, sondern extern: in den Panzerarmeen des roten Zarismus, und im ungelösten Problem weltweiter Unterentwicklung. Denn unsere Welt ist voll von latenter oder offen siegreicher Sozialrevolution. Das rührt daher, dass wir, die westlichen Nationen, das Zentrum der herrschenden Klasse der wirtschaftlich unterentwickelten Regionen der Welt sind.

Die erfolgreichen militant sozialistischen Revolutionen unseres Jahrhunderts, in Rußland, China, Kuba, vielleicht Angola, waren - wenn man es ihrer eigenen marxistischen Sprache sagen will - aktfeudal und nicht antibürgerlich. Ihr revolutionäres Potential bestand in einer Allianz moderner Intellektueller mit unterdrückten Bauern. Die Industrialisierung war nicht ihr Ursprung, sondern ihr Zukunftsziel.

Die Probe, welche die heutige wirtschaftliche Herrschaft der westlichen Nationen über den größten Teil der Erde wird bestehen müssen, läßt sich in einer Frage aussprechen:
Wird der Kapitalismus den sozialen Fortschritt erfolgreicher vorantreiben können als der militante Sozialismus? Das ist nicht unmöglich. Die zwei kapitalistischen Jahrhunderte haben in unserer westlichen Ländern erheblichen sozialen Fortschritt gebracht. Rechnen wir, wie es sein muss, die staatsbürgerlichen Freiheiten zu den sozialen Werten, so können die sozialen Errungenschaften des militanten Sozialismus den Vergleich mit denen des Kapitalismus bis heute nicht aushalten.

Aber wird die heutige Weltwirtschaft weltweit Bedingungen schaffen können, die sich denen des sozialen Fortschritts in den kapitalistischen Nationalwirtschaften der letzten anderthalb Jahrhunderte vergleichen lassen?
Bei uns garantierte der feste Rahmen des Staat unter demokratischen Institutionen den Arbeitern die Koalitionsfreiheit und eine effiziente Sozialgesetzgebung; er gestattete eine konsistente staatliche Wirtschaftspolitik. Adam Smith schrieb dem Staat drei Aufgaben zu, ohne deren Lösung der Markt nicht funktionieren kann: Schutz nach außen, Aufrechterhaltung der Rechtsordnung, Betrieb nicht-profitbringender wirtschaftlicher Tätigkeit.

Wir würden modern sagen: Friedenserhaltung, Rechtsordnung, Infrastruktur. Es gibt heute für die weltweite internationale Wirtschaft keinen Träger dieser Aufgabe, der über die selbst in dem Konkurrenzkampf verstrickte Nationalstaaten hinreichend effizient hinausreichte. Es gibt heute keine Weltregierung und keine weltweite Demokratie. Soeben macht man weite Teile der Welt durch Militärdiktaturen

safe for capitalism<<. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn sich die Hoffnungen der Intellektuellen und der Massen eher als zu unserem System zum Sozialismus wenden oder aber resignieren.

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Krieg:

Krieg ist nicht Das Thema dieses Vortrags. Nur wenige Sätze dazu.
Die heutige Welt hat Frieden im Norden, Unfrieden im Süden. Der Frieden im Norden ist nicht Abwesenheit von Konflikten, sondern Machtgleichgewicht. Der Unfriede im Süden ist Austrag der Konflikte, ermöglicht durch ein Machtvakuum, das seinerseits die folge der gegenseitigen Lähmung der nördlichen Weltmächte durch ihr Machtgleichgewicht ist.
Das ist keine stabile Lage. Es wird weiter Kriege im Süden geben. Ein dritter Weltkrieg ist möglich, denn die Abschreckung ist nur technisch gesichert, durch Waffensysteme, die alle zehn Jahre veralten. Im heutigen Vortrag soll der Hinweis auf die Kriegsgefahr nur deutlich machen, dass wir uns nicht leisten können, die Lösung der weltweiten sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Probleme sich selbst zu überlassen. Das mindeste, was wir von uns fordern müssen, ist die Anstrengung, sie zu verstehen. Was für Wege gibt es in der Gefahr?

Ich mache heute keine konkreten Vorschläge. Ich bleibe in der Ebene des Allgemeinen. Vielleicht formuliere ich damit Kriterien für die Beurteilung von Vorschlägen
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WEGE IN DER GEFAHR:

Das soziale Problem der gegenwärtigen Jahrzehnte ist die Modernisierung der Südens. Der Sieg der Modernisierung ist im Prinzip schon entschieden. Die Frage ist, wer sie durchführen wird, in welchem politischen Rahmen. Wir, die westlichen Nationen sind hier in einer zweischneidigen Lage. Technisch und organisatorisch sind wir die modernsten Nationen; wir sind insofern die Führer in die Modernität. Eben dadurch sind wir mächtig. Unser Kampf aber um die Verteidigung dieser unserer Macht verurteilt uns dazu, politisch die Konservativen der Welt zu sein. Wir können faktisch nicht die Partei der Revolution nehmen, die uns unsere Macht berauben würde. Wir können aber die Partei einer raschen, einer radikalen Evolution nehmen. Dies halte ich für unsere moralische Pflicht. Es liegt aber auch in unserem Machtinteresse. Andernfalls fällt die Führung unweigerlich den Mächten zu, die aus ebenso zwingenden machtpolitischen Gründen genötigt sind, die Partei der Revolution zu nehmen: Rußland, das in Wahrheit viel reaktionärer ist als der Westen, oder China, das ein faszinierendes Modell des Sozialismus für ein Entwicklungsland anbietet, aber mit nur einem Minimum persönlicher Freiheit.

Radikale Evolution enthält zwei Elemente: ein mehr an der Oberfläche liegendes, kurzfristig entscheidendes in der Wirtschaft, ein tieferliegendes, umstreitbares Element in der Kultur.

Soziale Evolution setzt wirtschaftliche Stabilität voraus. Weltweite wirtschaftliche Stabilität erfordert unbedingt einen internationalen Rahmen zur Regulierung gemeinsamer wirtschaftlicher Probleme. Wettbewerb ist der Nerv wirtschaftlichen Fortschritts, wenn es gerechte und durchsetzbare Gesetzgebung, eine Instanz zur Regulierung externer Kosten wie die Umweltgefährdung, einen Schutz der Schwachen gibt. Nichts existiert heute weltweit. Kartelle der wirtschaftlich unterentwickelten Teilnehmer am Weltmarkt sind ein unvermeidlicher, aber schlechter Ersatz eines solchen Rahmens.

Entweder nämlich bleiben sie wirkungslos; oder sie werden so mächtig wie das Ölkartell und führen dann ihre speziellen Teilhaber als neue Mitglieder in den Klub der Reichen, dem anzugehören nicht das Ziel der Rhetorik, aber der realen Wünsche ist. Heute artikuliert sich das Bedürfnis nach einem weltweiten rahmen unter dem Namen neuer Weltwirtschaftsordnung. Unsere begriffliche Unlust, uns auf oft schlecht durchdachte, politisch motivierte Vorschläge einzulassen, darf uns nicht hindern, die absolute Unerläßlichkeit einer internationaler wirtschaftlichen Regelung zu sehen. Wenn ich hier richtig sehe, so lautet die politisch mögliche und zugleich wirtschaftlich sinnvolle Alternative nicht:
Weltwirtschaftsordnung oder weltweiter freier Markt, sondern marktgerechte Weltwirtschaftsordnung oder Revolution und vermutlich Krieg.

Der tiefere Grund unserer Unfähigkeit, die sozialen Probleme der Welt zu lösen, liegt in einer gegenwärtigen oder bevorstehenden Krise unserer eigenen Kultur. Wir überzeugen nicht, weil wir selbst nicht überzeugt sind. Ich möchte den Vortrag mit einer optimistischen Deutung dieses mangels an Vertrauen in unsere eigenen Werte beschließen. Dazu muss ich zuerst, jeweils in einem einzigen Satz, drei andere Auffassungen zurückweisen.
Weder sollten wir sagen, unsere Werte seien sehr gut gewesen, aber wir hätten sie verloren. Noch sollten wir sagen, sie hätten nie viel getaugt. Noch sollten wir sagen, sie seien nach wie vor ausgezeichnet, und wir müßten uns nur fest an sie halten.
Letzteres ist vielleicht die Versuchung für einen Kreis wie den hier versammelten. In Wahrheit waren unsere klassischen politischen, sozialen, kulturellen, moralischen Wertsysteme recht gut für eine regionale Kultur wie diejenige Europas, aber sie sind manifest unzureichend für eine Weltkultur.

Eine der besten, wie ich hoffe unverlierbare Tradition unserer eigenen Kultur ist ihre ständige Selbstkritik im freien Dialog. Wir spüren heute recht präzis, was uns fehlt. Uns fehlt eine politische Weltordnung. Uns fehlt die Fähigkeit, Wirtschaftswachstum im eigenen Land anders als durch das langfristig unhaltbare Stabilitätsargument zu rechtfertigen. Uns fehlt eine hinreichende, breit wirksame Motivation, den Armen der Welt die einzige relevante Hilfe zu geben, die Hilfe zu einer ihrer Kultur angepaßten Selbsthilfe; unvermerkt zerstören wir, durch die Unerbittlichkeit unserer Art wirtschaftlichen Fortschritts, die Kulturen. Wir wissen jedoch sehr gut, dass der oberflächliche Restbestand unserer eigenen Kultur, die Technokratie genannt werden kann, heute zwar wohl ein unerläßlicher Produktionsfaktor ist, aber nichts, woraus eine menschliche Gesellschaft die Werte ihres Lebens gewinnt. Ein Teil unserer intellektuellen Jugend beginnt, sich, wenn auch manchmal durch Charlatane vermittelt, den zentralen Erfahrungen der asiatischen Kulturen zu öffnen. Kulturelle Krise bei uns bedeutet, dass wir nicht abgestumpft genug sind, die Schwächen unserer eigenen Problemlösungen nicht zu merken. Wir sollten also unsere Kraft zur Krise behalten. Keiner pessimistischen Konsequenz ausweichen, nicht auf dem Pessimismus sitzenbleiben.

Sie sehen, ich ende mit schönen moralischen Sprüchen. Die Rolle des Moralpredigers aber ist eine lächerliche Rolle. Ich wollte als Analytiker unserer Probleme sprechen. Erwachsene Menschen - wenn man so sagen darf - ziehen aus einer Analyse ihre Konsequenzen alleine.

Vortrag Ende!
Ein Vortrag von Carl Friedrich von Weizsäcker anlässlich des Europäischen Management Forum im Januar 1977 in Davos.

Mit dem Zitat:

Erwachsene Menschen - wenn man so sagen darf - ziehen aus einer Analyse ihre Konsequenzen alleine.

Entlasse ich euch in einen schönen Sonntag,

Euer Zeitgedanken.

Sort:  

Den Zustand beschreibt er sehr gut, aber die Lösung?
Mehr Eingriffe von oben/außen, anstatt Dezentralisierung und die Menschen in Ruhe lassen.
Mit jeder neuen Runde von Entwicklungshilfe wurden die Probleme vergrößert oder neue geschaffen und das obwohl die Leute auf diesen Treffen meist sehr intelligent sind. Einige sind natürlich bösartig und wissen genau was sie tun. Das dürfte aber die Minderheit der Teilnehmer sein.

Ja die Lösung? Man war und ist immer noch davon überzeugt, dass das Intervenieren das Maß aller Dinge sei. Vielleicht weiß man auch um diese Untugend und seiner negativen Folgen, aber der Futtertrog ist einfach zu mächtig.
Und wie man erkennen, und aus dem Vortrag erlesen kann, ist es keine Verschwörungstheorie in Punkto „Ausweitung des Futtertrogs“. Ausbreitung „weltumspannend“. Man mag das Gespenst „NWO“ als ein Hirngespinst abwerten, in Punkto „weltumspannende Erweiterung des Futtertrogs der Macht“ ist wohl das Ignorieren dessen was geschieht gepaart mit der politisch-medialen-Gegenrede, als Verschwörungstheorie einzustufen.

Es wurde schon immer recht offen kommuniziert, wie's denn so weitergehen soll nach den Wünschen der Terraformer, aber es hat sehr lange gedauert, bis die Vorstellungskraft der Menschen sich so weit entwickelt hat, daß wenigstens die nächste Schicht unter der Hochglanzlackierung auch nur angeschaut wurde.

Erst dadurch wurde das gedeihliche Zusammenleben von Herren und Gesinde zunehmend anstrengend für beide Seiten...

Schön und lyrisch ausgedrückt

werter zeitgedanken,
die vier wochen mit 250 SP sind nun um!
Ich ziehe sie hiermit ein, hinterlasse Dir aber 100 SP als dauerhafte Delegation, da ich Deine Beiträge sehr schätze.
Der Rest wird dann irgendwann für kleinere Accounts eingesetzt!
BGvB!

Herzlichen Dank. Bezüglich der Beiträge, kann ich nur sagen, dass dies auf Gegenseitigkeit beruht.

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