Editorial NEXUS 100
Die Gelassenheit, mit der ich gerade auf den Irrwitz da draußen reagiere, verstört mich: Ist es eine interne Firewall gegen das Propaganda-Dauerfeuer? Ein Schutzmechanismus, der mich betäubt, damit ich all das persönliche Leid, die Angst und Not, die schäumenden Gemüter nicht mehr spüre? Oder doch so etwas wie Präkognition: ein Wissen aus der Zukunft, dass, wie übel es auch kommen mag, am Ende eine neue, bessere Welt auf uns wartet?
Wenn ich ehrlich mit mir bin, stelle ich fest: Es ist alles davon – ja, das eine ist vom anderen nicht zu trennen. Und ich merke, dass sich in mir langsam eine Perspektive breitmacht, die sich schon ins letzte Editorial eingeschlichen hat: dieses schräge Nebeneinander von Positionen, eine Art 4-D-Blick, der einen die aufkochenden Polarisierungen gleichwertig erscheinen lässt.
Blickt man durch dieses Kaleidoskop, lässt sich etwa der Ukrainekonflikt gar nicht so klar bewerten. Ja, da gibt es eine völkerrechtswidrige Invasion der russischen Armee und Millionen Geflüchtete – gleichzeitig aber ein Aufatmen im Donbass, weil der Beschuss durch ukrainische Truppen, der kurz vor der Münchener Sicherheitskonferenz laut OSZE-Beobachtern eskalierte, nahezu zum Erliegen gekommen ist. Es gibt eine Nation, die um ihre Identität und ihre Integrität kämpft – im gleichen Atemzug aber ihren Nationalismus so weit treibt, dass es zu ethnischen Säuberungen, Gleichschaltung und Rassengesetzen kommt. Da ist Russland, das sich sorgt, dass der wachsende Neonazismus mit atomaren Ambitionen zur existenziellen Bedrohung wird – und die Ukraine, die genau das für nötig hält, um einen autokratischen Herrscher mit übermächtigem Militär von dummen Gedanken abzubringen. Und natürlich sind da gleichzeitig die Kräfte, die diesen Konflikt als Stellvertreterkrieg schüren und sich ins Fäustchen lachen, dass deutsche Industrie und russische Rohstoffe nun endlich voneinander getrennt sind.
Man kann das Spielchen noch weitertreiben. Nehmen wir etwa die Covid-Impfstoffe: Die verhindern tatsächlich schwere Verläufe – gleichzeitig aber führen sie zu Nebenwirkungen in der Größenordnung des Contergan-Skandals, und die Ärzteschaft spielt Blindekuh. Die Pandemie ist tatsächlich eine Krankheitswelle, wie sie die Welt seit Jahrzehnten nicht gesehen hat – gleichzeitig aber bei Weitem nicht so fatal wie kolportiert und von völlig überzogenen und idiotischen Maßnahmen begleitet. Viren gibt es, denn ihre Sequenz kann aus Kranken isoliert werden – gleichzeitig aber kann man sie als Exosomen betrachten, als Abbauprodukt oder Apoptosebotschafter der Zellen.
Transhumanismus, Klimawandel, Digitalisierung, Globalisierung – auch diese Themen sehen in 4-D ganz anders aus. Es gibt da eine Ebene tiefer nur ein klitzekleines Problem: Wenn Ansichten gelöscht, ihre Vertreter diffamiert und vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen werden, wenn nur noch immer enger gefasste Blickwinkel erlaubt sind, dann wachsen sich die blinden Flecken zu einem Tunnelblick aus, den wir mit der Realität verwechseln.
Falls Sie uns zum ersten Mal lesen, dann ein herzliches Willkommen. NEXUS sträubt sich seit nun genau 100 deutschen Ausgaben gegen diesen Hang zur Scheuklappe: Wir drucken sie, die weggepressten, unkonventionellen, multidimensionalen Perspektiven. Positionen, denen man nicht zustimmen muss, die aber ein Antidot gegen die Vertunnelung sind. Ansichten, die man im Mainstream nicht findet – die unserer Meinung nach aber essenziell sind. Und das meinen wir so: Wir glauben tatsächlich, dass unser aller Überleben davon abhängt, das eigene Fenster offen zu halten und den Blick zu weiten.
Wir haben uns ins Zeug gelegt, Ihnen in unserer Jubiläumsausgabe die volle Breitseite unseres Spektrums zu geben. Ich will heute ausnahmsweise nichts vorwegnehmen, Ihnen dafür aber eine Anregung mit auf den Weg geben: Lesen Sie mindestens einen Artikel zu einem Thema, das auf den ersten Blick so gar nichts für Sie ist, und lassen Sie sich darauf ein – es lohnt sich.
Falls Sie unsere Informationsauswahl schon länger schätzen, aber auch, falls Sie uns gerade entdecken, habe ich noch ein Bonbon parat: Wir haben unser gesamtes Archiv aus 15 Jahren in fünf digitale Akten verpackt. Sie stehen ab jetzt zum Download im NEXUS-Shop zur Verfügung und sind bis Ende Mai zum Sonderpreis erhältlich. Ich freue mich, wenn Sie die Gelegenheit nutzen, unsere 4-D-Welt zu erkunden – gleichzeitig aber auch, dass Sie damit zum Erhalt unseres Underground-Blättchens beitragen. Wir surfen nämlich nach wie vor am Rand des Machbaren.
Apropos: Ich mache mir bei aller Liebe natürlich nichts vor. Wir leben in haarigen Zeiten, und die Kräfte, die die Welt in den Pferch hineintreiben, stehen nicht still. Hyperinflation, Lieferengpässe, Nahrungsmittelknappheit – all das sind reale Bedrohungen, und ich weiß genauso wenig wie Sie, ob Sie das nächste Heft in Silber, Bitcoin oder E-Mark bezahlen oder der Russe nicht doch demnächst an die Tür klopft.
Eins weiß ich aber ziemlich genau: Wenn wir nicht schleunigst damit aufhören, andere Positionen und Perspektiven zu delegitimieren, wenn wir nicht endlich lernen, friedlich zu koexistieren, dann haut es diese Zivilisation genauso aus den Latschen wie all die anderen vor ihr.
Aber wer weiß? Vielleicht muss das alles gleichzeitig passieren – wo entsteht schon Neues, ohne dass das Alte stirbt?
Herzlich,
Ihr Daniel Wagner