Selfie mit Wörtern / Selfie By Words

in #neuvorstellung4 years ago

[English version below]

I was born in the USA.
Unterer Südwestdeutscher Abschnitt: Saarland.
Also Frankreich, höre ich unken.
Das stimmt zur Hälfte: an meinem Geburtstag, einem Faschingssonntag (äi, ischwöre, Alta!), war mein Heimat-Hobbit-Land noch wirtschaftlich französisch, aber bereits der BRD beigetreten.

Nach einer kurzen Kindheit (was sind schon zwölf Jahre?) und den üblichen sieben Teenager-Jahren wurde ich wie erwartet Twen, schenkte mir zu diesem Anlass selbst ein Klavier (wofür ich drei Monate gearbeitet hatte, aber noch im kostengünstigen Hotel Mama logierte und die Kohle also vollständig verbraten konnte), heiratete kurz danach und ließ mich etwas mehr als 25 Jahre später wieder scheiden.

Okay, was an Ereignissen außer drei Jahren Klavierunterricht lag dazwischen? Wer auch immer das nicht wissen will: hier ein paar Ecken und Kanten.

Eine pfingstlerisch dominierte Bekehrung und deren vernunftgeleitete Entkehrung, die Beobachtung, wie rasch vier Kinder groß werden können, ein bisschen Studium und ein disruptiver Wechsel aus dem behaglichen „Auenland“ ins damals noch geteilte Berlin, mit intakter Mauer und so.

Einschub:
Wenn es sie noch gäbe, diese Mauer, dann würde sie bald 60 werden (nämlich am 13.08.2021), aber sie ist weg. Zu ihrem 55. Erscheinungstag hatte ich eine Art Gedicht verfasst, das schiebe ich hier mal kurz ein.

Fünfundfünfzig würdest du heute
Alte Schlampe Fehlgeburt
Kopfwarze eines mickrigen Zeusersatzes
Aber dem Wir-sind-das-Volk sei Dank
Bist du schon mehr als fünfundzwanzig Jahre weg
Einfach weg wenn auch nicht spurlos

Gehasst habe ich dich mit Inbrunst
Insofern fehlst du mir ein bisschen
Denn ich fand kein gleiches Symbol
Für meine Abscheu gegen Zwang
Es war mir ein Genuss dich zu besuchen
In ohnmächtiger Wut gegen deine Beschützer

In fünf Jahren wird mehr Zeit
Vergangen sein seit deinem Fall
Als du Jahre zwischen uns standest
Ich freu mich drauf

Ende des Einschubs und zurück in die letzten Monate vor dem Fall.

Beim Rumturnen an einer Berliner Uni bin ich dann über recht aufschlussreiche Informationen gepurzelt, die mir halfen, meine eigenartigen religiösen Erlebnisse einzuordnen in ein mir bis heute vernünftig scheinendes Weltbild. Ich denke da besonders an zwei Kurse, die mich staunend nachdenklich machten: eine „Einführung in die empirische Sozialforschung“ und eine „Einführung in die Erkenntnistheorie“. Dort bekam ich Denkstoff für die folgenden etwa zehn Jahre, in denen ich mich allmählich in philosophische Gefilde vorzutasten wagte. Mein sprachphilosophischer Held Wittgenstein (II) verblasste zugunsten der mir hell aufgehenden Monde Popper und Jaspers und deren gemeinsamer Sonne: Kant.

Wie in einem religiösen Bekehrungserlebnis gab es für mich eine Umwendung des Denkens und des Lebensgefühls, einen neuen Blick auf die Welt und mich selbst darin. Das mit Sinn erfüllte Nichtwissen ging mir am Morgenhimmel auf, eine Erfahrung und Erkenntnis auf dem Grat zwischen Wissen und Glauben. Dort fand ich mich balancierend in einer Seilschaft zuverlässig führender Vordenker als frei werdender Nachdenker.

Und? Das beantworte ich mit einem kleinen Text, der weitere rund zwanzig Jahre später entstand (wer mitgerechnet hat, dürfte allmählich dabei angekommen sein, dass meine Enkel mittlerweile Teenager sind…)

Und

Ich rolle den Stein
Der Weisen hinauf in den Kopf
Doch knallt er mir
Immer wieder auf
Die Sisyfüße
Und
Ich roll mir den Stein
Hinauf in die Höhe
Bis ich kopflästig stürze
Und
Ich roll mir den Stein
Von der Brust
Und
Ich rolle den Stein
Gegen den Sog der Tiefe
Weg von meinem Grab
Und

Und während
Die Polkappen schmelzen
Träume ich weiter
Von einem Mann
Mit langer Nase
Und schwarzkohligen Augen
Dessen Kopf ich rolle
Durch den Schnee
Zu seinem Torso
Oben auf dem Gipfel
Und dann der
Abgang der Lawine
Und ich rolle
Neue Reifen für die
Endlose Schlange Rettungsfahrzeuge
In aller Welt aber
Ich bin nicht allein
Und während
Die Pole Minus zu Plus kehren
Auch noch magnetisch wie es scheint
Ziehe ich dich
Im Rollstuhl eine Treppe hinauf
Rückwärts gewandt
Gegen das Ziel
Wir beide

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Selfie By Words
[English version, translated with DeepL]

I was born in the USA.
Undermost Section of All: Saarland.
So France, I hear grumbling.
That's half true: on my birthday, a carnival Sunday (ey, I zwear, bro!), my home hobbit country was still economically French, but had already joined the FRG.

After a short childhood (what are twelve years?) and the usual seven teenage years, I became a twenty-something as expected, presented myself with a piano for the occasion (for which I had worked for three months, but was still staying at the inexpensive Hotel Mama, so I was able to spend all the money), got married shortly afterwards and divorced a little more than 25 years later.

Okay, what events besides three years of piano lessons lay in between? Whoever doesn't want to know: here are a few rough edges.

A Pentecostal-dominated conversion and its rationally-guided conversion, the observation of how quickly four children can grow up, a bit of studying and a disruptive move from the cosy "Shire" to Berlin, which was still divided at the time, with the Wall intact and all.

Insertion:
If it still existed, this wall, it would soon turn 60 (on 13.08.2021), but it's gone. I had written a kind of poem for the 55th anniversary of its appearance, which I'll insert here briefly.

Fifty five would you today
Old slut abort
Head wart of a puny Zeus substitute
But thank the „Wir-sind-das-Volk“ (we-are-that-people)
You've been gone more than twenty-five years now
Just gone though not without a trace

I hated you with a fervour
So I miss you a little
For I found no equal symbol
For my abhorrence of coercion
It was my pleasure to visit you
In impotent rage against your protectors

In five years more time
Will have passed since your fall
As you stood years between us
I look forward to it

End of insertion and back to the last months before the fall.

While fooling around at a university in Berlin, I came across some very enlightening information that helped me to classify my strange religious experiences in a world view that still seems reasonable to me today. I'm thinking in particular of two courses that made me wonder and think: an "Introduction to Empirical Social Research" and an "Introduction to Epistemology". There I got food for thought for the following ten years or so, during which I gradually ventured into philosophical realms. My linguistic-philosophical hero Wittgenstein (II) faded in favour of the moons of Popper and Jaspers and their sun: Kant.

As in a religious conversion experience, there was a turnaround of thinking and attitude to life for me, a new view of the world and myself in it. The meaning-filled not-knowing opened up to me in the morning sky, an experience and realisation on the ridge between knowledge and faith. There I found myself balancing in a rope team of reliably leading masterminds as a free servantmind.

And so what? I'll answer that with a little text that came about another twenty years later (if you've been doing the math, you'll have realised that my grandchildren are teenagers by now...).

And

I roll the philosopher's
Stone up into my head
But it keeps slamming
Again and again
My sisypod feet
And
I roll the stone
Up to the height
Till I fall top-heavy
And
I roll the stone
Off my chest
And
I roll the stone
Against the pull of the deep
Away from my grave
And

And as
The polar caps melt
I dream on
Of a man
With a long nose
And black charcoal eyes
Whose head I roll
Through the snow
To his torso
At the top of the peak
And then the
The avalanche's descent
And I roll
New tyres for the
Endless line of rescue vehicles
All over the world but
I am not alone
And while
The poles turn minus to plus
Even magnetic as it seems
I pull you
Up a flight of stairs in a wheelchair
Turning backwards
Towards the goal
The two of us

Sort:  

Eh bien, c'est génial !

Vielen Dank für diesen phantastischen literarischen Einstand. Deine Vorstellung ist mir ein sehr kurzweiliger Lesegenuss samt I-Tüpfelchen durch lyrische Philosophie gewesen.

Ich fürchte, unser kleiner Rabe hat recht: Da hast du beim höher Setzen der Messlatte aber mal locker ein paar Markierungen übersprungen... ;-)

Dann also noch mal ein "offizielles" herzliches Willkommen! Viel Spaß und Erfolg auf dem Steem!
Ich freue mich besonders, dass wir uns augenscheinlich auch in Deutsch Unplugged sehen werden. Eingeschrieben bist du ja schon und selbstverständlich werde ich deinen Beitrag ins "Who is Who", wo du ihn verlinkt hast, aufnehmen - auch wenn er diesmal nicht in der Community gelandet ist... ;-)

Viele liebe Grüße nach Berlin,
Chriddi

Wenn der weiße Rabe fertig ist mit aufgeregt flattern (also klein ist mir echt ein ungewohntes Attribut ;-))), dann bleibt ihm nur zu sagen: Ihr habt es so gewollt. Die Geister, die Ihr rieft... ;-))

Haha, mit Autokorrektur kann ich mich nicht rausreden - bei klein muss Herr Freud seine Finger im Spiel gehabt haben. Ich bin davon überzeugt, dass ich weißer Rabe schreiben wollte, aber jeder hat ja manchmal seine festgesetzten Assoziationen. Rabe lässt mich unwillkürlich stets an diesen Kameraden denken:

Hm, alles mache ich falsch... #jetztschmolleich... ;-))

Die Geister, die Ihr rieft

Habe ich üüüberhaupt kein Problem mit... ;-p

Der kleine Rabe Socke! Das ist ein liebenswürdiger Vergleich - Dir sei verziehen ;-))

verbeug

Herzlich Willkommen!

Danke vielmals!

Schon wieder eine tolle Neuvorstellung by ty-ty. Als Leser von mehr oder weniger naturwissenschaftlicher Texte (ehemals von berufswegen) frage ich mich öfter:Was wollte der Dichter damit sagen. Aber so übt man zwischen den Zeilen zu lesen. Wird ja mal Zeit.

Moinsen!
"Was wollte der Dichter damit sagen?" geht (glaube ich) auf den Naturforscher Reich-Ranicki zurück.
Der erforschte die Natur neuer Romane und war bisweilen ein bisschen boshaft, aber diese Frage ist ja eigentlich neutral, oder?
;-))
Danke fürs Lesen - und für deine Auseinandersetzung mit dem Text. Ich weiß, dass ich meine Wortverbindungen manchmal bisschen weniger Fahrstuhl-Musik-mäßig komponiere, so dass der Leser, die Leserin und das Lesende damit ein wenig zu ringen haben. Aber ich bilde mir ein, es würde sich für alle Lesenden doch irgendwann auch lohnen, nämlich in Bezug auf das eigene Lesen und Schreiben.
"So übt man, zwischen den Zeilen zu lesen. Wird ja mal Zeit." - das ist ein großes Lob für mich, danke!
verbeug

geht (glaube ich) auf den Naturforscher Reich-Ranicki zurück.

ich fand den Spruch so gut in einem Sketch. Ein Segeldebutant las in der Gebrauchsanleitung wie eine Halse eingeleitet wird. Nach dem Lesen des entsprechenden Abschnittes kam der Spruch: Was wollte der Dichter.....

Es gibt einige Varianten ("will uns" statt "wollte", "Autor" statt "Dichter"), und bei kurzer Recherche gewinne ich den Eindruck, dass die Redewendung sehr verbreitet ist, den Deutsch-Unterricht nachhaltig kontaminiert hat und wahrscheinlich doch NICHT auf Reich-Ranicki zurückgeht (wenn Hr. R.-R. ihn auch des öftern verwendet haben mag im Literarischen Quartett [Idee: könnte man ein Kartenspiel...?]).
Also, nicht verzagen, weiter fragen: Was will uns der Autor sagen.
;-))

Herzlich willkommen und viel Spaß auf steemit

Und überhaupt: vielleicht fühlen sich ja @umdenker und @filosof103 inhaltlich angesprochen...;-))

Danke für den Hinweis. :-)))) Ich versuche, den Text noch zu verdauen..... Den werde ich erneut lesen müssen und noch einige Giga frei machen müssen.

So dachte und hoffte ich ;-))

Hammer und Hut ab! Ein herzliches Willkommen.

Ein wirklich toller und sehr ansprechender Vorstellungspost. Danke dafür - wie schon einmal geschrieben, du wirst eine Bereicherung für unsere kleine in der Sommerpause befindliche deutschsprachige Community werden, da bin ich mir gaaaaz sicher. Morgen werden auch die Gewinner von dem Wettbewerb "Typisch deutsch" bekannt gegeben. Solltest dir den Beitrag dann mal anschauen :)

Du bekommst innerhalb der nächsten 24 Stunden einige weitere kleinere Votes von dem symbionts & ecosynthesizer Account wo ich Kurator bin und deinen Beitrag zum Voting gemeldet habe. Mit etwas Glück folgt diesem Vote auch ein Trail von weiteren Steemians.

Danke!
Alle Teilnehmer sind sehr gespannt!
;-)

Du hast ein Upvote von mir bekommen, diese soll die Deutsche Community unterstützen. Wenn du mich unterstützten möchtest, dann sende mir eine Delegation. Egal wie klein die Unterstützung ist, Du hilfst damit der Community. DANKE!

na das nenne ich mal ein Vorstellungsrätsel, viel heller ist es nicht geworden also baue ich mal auf Erhellung aus folgenden Posts von Dir ;)

Steem on und weiter viel Erfolg...

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