DER JOKER --- (Hässlichkeit, Absurdität & Rebellion) - TEIL 1.

in #deutsch5 years ago

Die folgende Charakteranalyse entstand aufgrund meines Interesses für den Joker als Comicfigur. Die Zahlen in Klammern sind Endnoten, die sich am Ende des Posts befinden und mehr Aufschluss geben sollen. Alle Bildrechte sind bei DC und die Bilder werden ausschließlich zur Untermalung des Textes verwendet. Wer nach diesem Post mehr Interesse an der besten Batman-Joker-Geschichte aller Zeiten hat, dem empfehle ich das Comic:
Batman: The Killing Joke


Quelle

1. Einleitung - die Faszination des Hässlichen


Die Hässlichkeit tritt in unzähligen Formen zutage und kann uns mit ihrer verführerischen Ausstrahlung regelrecht in ihren Bann ziehen. Sie schockiert. Sie provoziert. Sie bringt uns zum nachdenken. Sie hält uns etwas vor Augen, das uns irgendwo Nein sagen lässt und uns dennoch insofern ein Ja abverlangt, als wir gewillt sind, ihr unsere Aufmerksamkeit zu schenken.

Hinsichtlich ihrer Vielfältigkeit begegnet sie uns unerbittlich in der Realität; man denke z.B. an das schändliche widernatürliche Verhalten, das die Menschheit der lebensspendenden Erde entgegen bringt, indem sie sie systematisch zerstört; die permanente Zunahme von übergewichtigen Menschen; die Gewaltverbrechen; die stumpfe kalte Architektur der Moderne; et et et.

Doch sie hat auch ihren festen Platz im Reich der imaginativen Darstellung; der Kunst; sei dies beispielsweise in Form eines Bildes; einer unharmonisch an- mutenden Melodie oder in Form einer literarischen Szene. Ja, die Hässlichkeit trägt zweifellos tausend Masken.

Eine bedeutende und dennoch zu wenig beachtete Ausdrucksform innerhalb der Kunst, stellt die Comicliteratur dar. Sie vereint das ausdrucksstarke Bild mit dem geschriebenen Wort und zeigt gekonnt verschiedene Charaktere mit ihren Stärken und Schwächen. Gewiss kann man ihr Oberflächlichkeit und Seichtigkeit vorwerf- en, denn es gibt genug Zeugnisse dafür, aber es sind viele Werke vorhanden, die durchaus Reife beweisen und hinsichtlich Gesellschaftskritik zweifellos etwas zu sagen haben [vgl. Moores »V wie Vendetta« oder Millers »Sin City«].

Würde man nun die Comicliteratur in Bezug auf die Hässlichkeit untersuchen wollen, so könnte man Bibliotheken füllen. Angefangen mit den klassischen Ge- schichten aus dem Horrorgenre bis hin zu der Figur Swamp Thing, die bedingt durch ihr deformiertes Aussehen von der Gesellschaft ausgegrenzt wird. Am Faszinierendsten allerdings wird die Thematik der Hässlichkeit, wenn neben dem ästhetischen Aspekt noch ein ethischer hinzukommt; wenn man in die Bereiche der Soziopathie, des Diabolischen und des Absurden geht. Dort nämlich finden sich Figuren, die uns Grenzen zeigen, welche wir nicht wagen würden zu übertreten. Sie sind die Opposition zum Ideal des Edlen und Guten.

Ob man dabei an Spidermans Erzrivalen Venom denkt, der getrieben von Hass, das Leben seines Feindes in jeder Faser schwer bis unmöglich machen will; oder an den berüchtigten Magneto, der im Gegensatz zu den X-Men die Welt von der »Schwäche Mensch« befreien will; oder an all die dunklen Gestalten, die sich in Basin City sammeln und gedrückt von der dunklen Stadt ihren fragwürdigen Geschäften nachgehen, so wird dennoch ein Charakter all die Anderen an innerer Hässlichkeit überragen :: Batmans Gegenspieler – der Joker. —

Dieser ist es, der den Gegenstand der folgenden Abhandlung bildet und dessen Werdegang und Entwicklung darzustellen versucht werden. Dabei wird im ersten Schritt sein Entstehen sowie sein Mythos betrachtet, worauf im Anschluss vertieft auf sein Wesen, seine Einstellung zum Leben und zur Gesellschaft eingegangen wird. Um dies alles besser verstehen zu können, wird einerseits auf den Film »The Dark Knight« und andererseits auf das bedeutendste Werk »The Killing Joke« Bezug genommen, wobei dazu gesagt werden muss, dass den Elseworlds- Geschichten (1) keinerlei Beachtung geschenkt wird und sich die Untersuchung auf die klassischen Versionen des Joker beschränkt.


2. Historische Daten zur Entstehung des Jokers

2.1 Erster Auftritt und Urheberschaft

Der Joker wurde im Golden Age (2) geboren und hatte seinen ersten Auftritt in der legendären Ausgabe Batman #1 von 1940, wo er eine der vier Geschichten aus- füllte. Schon damals ging etwas Mysteriöses von ihm aus, denn man konnte sich nicht erklären, warum seine Gesichtsfarbe weiß war und generell sein Aussehen so derart komisch und verzerrt. Dies sollte sehr lange Zeit ein Geheimnis bleiben.

Wer ihn letztendlich erfunden hat, ist bis heute noch umstritten. Einerseits nennt man den Assistenzzeichner Jerry Robinson und andererseits Bill Finger so- wie den Erfinder von Batman selbst — Bob Kane. Wahrscheinlich ist, dass Robinson den Rohentwurf geliefert hat, während Finger und Kane die Figur des Jokers komplettiert haben. Als Inspiration bzw. Vorlage diente die Figur des Gwynplaine gespielt von dem Schauspieler Conrad Veidt (siehe Abbildung 1.) aus dem Stummfilm »The man who laughs« von 1928.


Abbildung 1. - Quelle

Vergleicht man diesen Gwynplaine mit dem Joker der 40iger Jahre und generell den verschiedenen Darstellungen des Jokers, so wird man feststellen, dass sehr viele Elemente übernommen wurden — die gebleichte Hautfarbe, die diabolisch wirkende Konstellation der Augenpartie, das breite Grinsen, die spitze Nase sowie die ausgeprägten Wangenknochen und die faltige Stirn. (vgl. mit Abbildung 2.)


Abbildung 2. - Quelle

2.2 Ein kurzer Überblick hinsichtlich Entwicklung

Im Goldenen Zeitalter der Comicliteratur wurde der Joker als ein verrückter Mörder dargestellt, den man mit seinem zweiten Auftritt bereits wieder sterben lassen wollte. Dies wusste der Editor Whitney Ellsworth allerdings zu verhindern und ließ den Joker in den weiteren Ausgaben immer wieder auftreten. Im Zuge dessen waren seine Verbrechen gleichzeitig skurril und verrückt sowie unmenschlich brutal. Er hinterließ seine Opfer stets mit einem Grinsen für die Ewigkeit, das durch ein speziell entwickeltes Gift erzeugt wurde. Was diesen Modus operandi bzw. generell die Logik des Jokers betrifft, so sagt Batman, dass sie wohl nur Sinn für den Joker allein mache.

Mit dem Aufkommen des Comics Code Authority Censorship Boards und der damit verbundenen Zensur der amerikanischen Comicliteratur wurde der Joker in den 50iger Jahren zu einem Witzbold und Dieb degradiert, der sein Umfeld mit seinen Späßen penetrierte. Er wurde sozusagen abgeschwächt und langsam aber sicher verschwand er von der Bildfläche.

Im Jahre 1973 erfuhr er allerdings durch den Schreiber Dennis O’Neil sowie den berühmten Zeichner Neal Adams in der Ausgabe Batman #251 eine Wiederbelebung. Der Joker kehrte zu seinen Wurzeln zurück und trat wieder als der verrückte Mörder mit dem irrsinnigen Humor in Erscheinung. Sein wirklicher Durchbruch hingegen, der ihm später seitens des renommierten Wizard Magazins den Titel als bester Bösewicht aller Zeiten einbrachte, gelang ihm mit der vierteiligen Serie »A Death in the Family« (3) sowie der Grafiknovelle »The Killing Joke« (4).

Beide Geschichten stellen absolute Schicksalsschläge im Leben von Batman dar. Während in »A Death in the Family« Jason Todd, also der zweite Robin, sein Leben durch die Hand des Jokers verliert, so wird in »The Killing Joke« Barbara Gordon, das Batgirl und Tochter des Polizeichefs Jim Gordon, auf brutale Weise verkrüppelt und für ihr weiteres Leben an den Rollstuhl gefesselt. In den folgenden Jahren hatte der Joker nicht nur viele Auftritte in diversen Ongoing-Series (5), sondern auch eine Reihe eigener Grafiknovellen, die allerdings nie wieder die Qualität der beiden obgenannten Stories erreichten.


3. Einblick in das Phänomen des Jokers

3.1. Einleitendes

Das erwähnte Comicbuch »The Killing Joke« ist nicht nur derart berühmt geworden, weil in ihm ein sehr bedeutender Charakter einen radikalen Wandel zu durchleben hat, sondern weil hier erstmals – und dies nach ganzen 48 Jahren – die genauen Zusammenhänge beleuchtet werden, unter welchen Umständen der Joker zu dem wurde, was er ist. Zwar wurde dies schon Anfang der 50iger Jahre in der Ausgabe Detective Comics #168 angespielt, aber ganz konkret stellte dies eben Alan Moore mit seinem grandiosen Werk dar.

Weiters erfährt man, welcher Natur der Joker in seinem „normalen“ bürger- lichen Leben war, wie er lebte, welchen Beruf er hatte und welche grundlegenden Eigenschaften seine frühere Persönlichkeit ausmachten.

Im Gegensatz dazu erfährt man im Film »The Dark Knight«, dem zweiten Teil der Christopher Nolan-Reihe, keine gesicherten Fakten über seine Vergangenheit. Vielmehr scheint es beabsichtigt zu sein, seine Figur im Nebel des Ungewissen zu lassen und ihn damit mysteriöser zu gestalten.

Im Folgenden wird nun versucht, das Wesen des Jokers und was er als Narr darstellt, zu analysieren, während im weiteren Verlauf seine Vergangenheit anhand von Moores Grafiknovelle aufgezeigt wird, die uns einen tieferen Einblick in die Hintergründe seiner Persönlichkeitsveränderung gewähren wird.

3.2. Der Joker und die Absurdität

Der Joker lässt sich mit vielen Worten bezeichnen. Er ist zutiefst verdorben, böse, sadistisch, intelligent, intrigant, einzelgängerisch, besessen, chaotisch, unehrlich und aus tiefster Überzeugung heraus amoralisch. Er ist geprägt von schwarzem Humor, narzisstisch, lebensverneinend und voller Hass, der sich hauptsächlich gegen Batman, aber auch gegen die Menschen und das Leben an sich richtet. Er ist ein lebendes Inferno, weshalb es nicht verwundert, dass Alfred, der Butler von Bruce Wayne alias Batman, in einem Dialog mit ihm sagt: Manche Menschen wollen die Welt einfach nur brennen sehen.

Will man das Wesen des Jokers jedoch mit nur einem Wort beschreiben, es müsste lauten ― absurd ― Dies zeigt sich z.B. bereits in der ersten Szene von The Dark Knight, wo der Joker eine Bank ausraubt und dabei all seine Verbündeten nach getaner Arbeit unabhängig voneinander umbringt, sodass am Ende nur er selbst übrigbleibt. Als er kurz vor seiner Flucht von einem Angestellten, der Widerstand leisten wollte, gefragt wird, an was er eigentlich noch glaube, antwortet der Joker: »Ich glaube, was einen nicht umbringt, macht einen komischer.« ― In der englischen Fassung lautet es stranger.

Entgegen aller Übersetzungskritik, das Wort komisch wäre unangemessen und würde einen euphemistischen Hauch mit sich tragen, der sich über die Tiefe dieser Aussage hinwegsetzt, zeigt die Aussage im Gesamten, dass hier ein Mensch ist, der zwar mit Nietzsche gesprochen härter geworden ist, aber gleichzeitig im Prozess der Konfliktbewältigung den Moment der adäquaten Anpassung versäumt hat. Im Sinne Freuds könnte man den Schluss ziehen, das ICH des Jokers war ab einem gewissen Punkt seines Daseins und unter dem Einfluss der gegebenen Konflikte nicht mehr in der Lage, den Ansprüchen des Lustprinzips seines ES und der Realität gerecht zu werden, wodurch er eben komischer oder stranger; sprich eigenartiger, absonderlich oder um es treffend zu bezeichnen ― verrückt wurde. In dieser Entfremdung verlor die Normalität der Vergangenheit ihren Sinn und was im Zuge dessen angenommen wurde, gilt der intersubjektiven Annahme von Normalität; dem allgemeinen Gesellschafts-Charakter als absurd.

Den Joker kümmert die Ansicht der Menschen allerdings nicht. Vielmehr ist er von ihrer sogenannten Ordnung angewidert und hasst die systemerhaltenden Kräfte. Er amüsiert sich über den sogenannten moralischen Codex der Menschen und will ihnen die scheinbare Stabilität ihrer Ordnung aufzeigen. Die Menschen seien ihm zufolge nicht mehr als armselige Pläneschmieder, die die Welt mit ihren Plänen formen, um diese dann ständig unter Kontrolle haben zu wollen. Für den Joker ist dies alles vollkommen absurd und verrückt, was in der folgenden Szene aus The Killing Joke dargestellt wird. Hier befindet er sich auf einem verlassenen Jahrmarkt, wo er den Police Commissioner Gordon gefangen hält, um mit ihm ein Experiment durchzuführen, das zeigen soll, wie aus einem normalen Menschen unter Belastung und Druck ein Verrückter wird. Vor einer Horde abstruser Gestalten verkündet er:

»Ladies and Gentlemen! You’ve read about it in the newspapers! Now, shudder as you observe, before your very eyes, that most rare and tragic of nature’s mistakes! I give you… THE AVERAGE MAN! ― Physically unremarkable, it has instead a deformed set of values. Notice the hideously bloated sense of humanity’s importance. The club-footed social conscience and the withered optimism. It’s certainly not for the squeamish is it? Most repulsive of all, are its frail and useless notions of order and sanity. If too much weight is placed upon them… they snap. How does it live, I hear you ask? How does this poor pathetic specimen survive in today’s harsh and irrational world? The sad answer is „not very well.“ Faced with the inescapable fact that human existence is mad, random and pointless, one in eight of them crack up and go stark slavering buggo (6)! Who can blame them? In a world as psychotic as this... any other response would be crazy!«

Im Folgenden mein Versuch einer deutschen Übersetzung und nachstehend noch die Originalszene, wo anhand der Gesichtszüge und Gestiken des Jokers seine theatralische Art trefflich widergespiegelt wird.

»Meine Damen und Herrn! Sie haben darüber in den Zeitungen gelesen! Jetzt erschaudert sowie ihr vor euren Augen den seltensten und tragischsten Fehler der Natur beobachtet. Ich gebe Ihnen… DEN DURSCHNITTLICHEN MENSCHEN! ― Körperlich unauffällig hat er stattdessen eine Reihe von deformierten Werten. Beobachten Sie den schrecklich aufgedunsenen Sinn für die Bedeutung der Menschheit. Das klumpfüßige soziale Gewissen und den verdorrten Optimismus. Es ist sicherlich nichts für Weicheier, ist es nicht so? Das am meisten Abstoßendste sind seine gebrechlichen und nutzlosen Vorstellungen von Ordnung und Vernunft. Wenn zu viel Gewicht auf ihnen platziert wird… reißen sie. Wie lebt es, höre ich Sie fragen? Wie überlebt dieses arme erbärmliche Exemplar in der heutigen rauen und irrationalen Welt? Die traurige Antwort ist: „nicht sehr gut.“ Konfrontiert mit der unausweichlichen Tatsache, dass die menschliche Existenz verrückt, zufällig und sinnlos ist, dreht einer von acht durch und wird zu völlig sabbernder Scheiße! Wer kann es ihnen verdenken? In einer Welt so psychotisch wie dieser… jede andere Antwort wäre verrückt.«


Quelle Batman: The Killing Joke Seite 34 (all rights by DC Comics)

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Auf mich wirkt diese JOKER Figur zu tiefst satanisch und ich glaube, wenn man das Umfeld der Designer dieser Gestalt durchleuchtet, werden sich entsprechende Hinweise finden.
Nice Post!

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