DER JOKER --- (Hässlichkeit, Absurdität & Rebellion) - TEIL 2.

in #deutsch5 years ago

Die folgende Charakteranalyse entstand aufgrund meines Interesses für den Joker als Comicfigur. Die Zahlen in Klammern sind Endnoten, die sich am Ende des Posts befinden und mehr Aufschluss geben sollen. Alle Bildrechte sind bei DC und die Bilder werden ausschließlich zur Untermalung des Textes verwendet. Wer nach diesem Post mehr Interesse an der besten Batman-Joker-Geschichte aller Zeiten hat, dem empfehle ich das Comic:
Batman: The Killing Joke


Quelle

3.3. Der Joker als psychosozialer Forscher

Wie wir gesehen haben, ist die Einstellung des Jokers nihilistisch und absurd. Im Grunde seines Wesens sieht er den Menschen als ein animalisches Wesen, dessen Sinn für Ordnung und moralische Vorstellungen pathologische Anzeichen von Schwäche darstellen, die sich aus dem Wunsch dem bellum omnia contra omnes Einhalt zu gebieten ergeben. Dies erinnert ein wenig an Nietzsche und seine Auffassung über die Herdenmoral. Der aus der Feder von Plautus stammende Satz homo homini lupus könnte zudem durchaus vom Joker stammen, der in The Dark Knight sagt, die Menschen seien nur so gut, wie die Welt zu ihnen ist. »Kommt es hart auf hart und die zivilisierten Menschen fressen sich gegenseitig.«

Bei dieser theoretischen Haltung bleibt es allerdings nicht und der Joker ist weit davon entfernt nur ein einfacher Krimineller zu sein. Ihm geht es nicht um die Akkumulation von Geld. Vielmehr ist ihm Habgier fremd sowie auch das Streben nach Ruhm und Macht. Seine Intention besteht, neben dem obsessiven Spiel mit Batman und dem Verbreiten von Chaos, Schrecken und Verzweiflung, in einem ständigen Beweisen seiner Ansichten vom Leben und den Menschen. Er sieht sich darin als psychosozialer Forscher, der es liebt, Experimente zu machen und die Menschen als seine Labormäuse betrachtet.

Im zweiten Teil der Nolan-Reihe wird dieser forschende Charakterzug als Höhepunkt der darin begangenen Verbrechen gezeigt. Auf zwei verschiedenen Schiffen, die gerade den Hafen von Gotham City verlassen, wurden Sprengsätze angebracht. Gleichzeitig befinden sich dort auch die Zündmechanismen für das jeweils andere Schiff. Auf einem Schiff befinden sich Sträflinge, auf dem anderen Menschen aus der Bürger- und Arbeiterklasse. Plötzlich erscheint durch die Lautsprechanlagen die Stimme des Jokers, der alle Beteiligten auf den Ernst der Lage hinweist und ihnen ein Ultimatum stellt. Sofern eines der Schiffe nicht vor zwölf Uhr Mitternacht den Zündmechanismus auslöst, werden beide Schiffe zerstört. So aber bliebe einer Partei die Möglichkeit sich durch den Tod der anderen frei zu kaufen. Die Uhr tickt.

Wider Erwarten sind es nicht die Sträflinge, die gleich nach dem Zünder greifen. Im Gegenteil, eher würden noch die Wärter an die Sprengung denken. Auch bei den Bürgern entsteht ein Streit, worauf es auf beiden Schiffen zu einer Abstimmung kommt. Nach dieser würden die Bürger die Sprengung durchführen, was aber misslingt, weil der ausgewählte Durchführende nicht den Mut dazu hat. Bei den Sträflingen hingegen wurde dagegen entschieden und als einer der Wärter die Sprengung veranlassen will, nimmt ein Sträfling den Zünder und haut ihn aus dem Fenster. Letzten Endes werden beide Schiffe gerettet, aber im Grunde sollte der Joker recht behalten.

Das bereits erwähnte Experiment mit Jim Gordon geht ebenso schief und die Annahme des Jokers, dass ein Mensch zwangsläufig verrückt werden müsse, sobald ihm mehrere einschneidende und harte Erlebnisse widerfahren, bestätigt sich nicht. Nicht nur weil Batman Joker stellt, sondern weil die Konstitution des Polizeichefs eine andere ist. Er ist härter; solider und hat eine andere Vorstellung von Integrität.

3.4. Die Genese des Jokers

Bei all der Abscheulichkeit seiner Verbrechen, seinem intriganten und infernalen Vorgehen, seinem unstillbaren Verlangen sich der Ordnung zu widersetzen und Chaos zu verbreiten, das seiner Ansicht nach der einzig faire Faktor im Leben ist, stellt sich die Frage, wie der Joker zu dem werden konnte, der er ist. Was musste geschehen, damit sich dieser Sinneswandel ergab? Wer und vor allem wie war er vor seiner Metamorphose? ―

Alan Moore behält die Tradition, dass der Joker keinen bürgerlichen Namen hat, bei und zeigt ihn vor seiner Veränderung als einen durchschnittlichen Typen, der mit dem Leben zu kämpfen hat. Er ist ein eher passiver Mensch und von Beruf her ein Komödiant, der allerdings keinen Erfolg hat, was die ständige Besorgnis um den Broterwerb mit sich bringt, denn zuhause wartet eine hochschwangere Frau auf ihn. Er selbst sieht sich als Versager und ist es leid in einem Armenviertel zu wohnen, wo er sein Kind unter keinen Umständen aufwachsen sehen will. Auch wenn ihn seine Frau von ganzem Herzen liebt, leidet die Beziehung, weil ihn die Nöte des Lebens zunehmend belasten. Heftige Existenzängste, mangelndes Selbstvertrauen, die Angst zu versagen und der ständige Druck der Verantwortung sind die Ausgangsbasis, die in der nachfolgenden Rückblendung dargestellt wird.


Quelle Batman: The Killing Joke Seite 8 (all rights by DC Comics)


Quelle Batman: The Killing Joke Seite 9 (all rights by DC Comics)

Im weiteren Verlauf des Heftes kommt es nochmals zu Rückblenden, wo gezeigt wird, wie er sich in einer Bar mit Kriminellen einlässt. Man erfährt hier, dass er vor seiner erfolglosen Karriere in einem Labor als Assistent gearbeitet hat. Weil der Coup in seiner damaligen Arbeitsstätte abspielen soll, einer Chemiefabrik, kommt er dafür in Frage. In seiner naiven Art erzählt er von seiner Frau und seinem ungeborenen Kind, seiner verzweifelten Situation und wie dringend er zu Geld kommen muss, damit er seiner Familie ein gesichertes Leben bieten kann. Als man ihm seine Verkleidung zeigt, eine unbequeme rote Maske und ein rotes Cape, kommen Zweifel auf, da es sich dabei um die Markenzeichen des Red Hood handelt, einem gesuchten Verbrecher, der von Batman und der Polizei gejagt wird. Seine Bedenken werden jedoch sogleich wieder zerstreut, als die Mafiosi ihn auf seine Not aufmerksam machen. Der Deal wird abgeschlossen und sichtlich erfreut, meint er, dass nach diesem Freitag alles besser wird und nichts mehr wie vorher sein würde.

Diese Vorfreude ist jedoch von kurzer Dauer, als er in einer weiteren Rückblende an besagtem Abend vor der Durchführung des Einbruchs in der Bar sitzt und zwei Polizisten hereinkommen. Die zuerst noch wirkende Angst, man könnte ihn verraten haben oder zur Rede stellen, weicht einem Schock, als er erfährt, dass seine schwangere Frau bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Völlig er-schüttert gibt es für ihn nun keinen Grund mehr an dem Coup teilzuhaben, weshalb er den Deal in der Fabrik platzen lassen möchte. Doch es ist bereits zu spät. Die Gangster weisen ihn mit drohender Geste darauf hin, dass er nicht auskommt und sich an die Abmachungen zu halten habe, oder er würde es bitter bereuen. Zutiefst traurig und gedemütigt vergräbt er sich in seiner Ohnmacht.

Der Coup startet und man sieht ihn träumend dastehen. Es sind die Erinnerungen, die ihn plagen. Von ihnen sagt der Joker später, sie seien brutal wie kleine Kinder und gefährlich; ja die Vergangenheit sei ein ärgerlicher Platz.

Nüchtern reißen ihn die zwei Mafiosi aus seinen Träumen und wollen den Einbruch begehen. Er habe ihnen den Weg zu zeigen und davor seine Verkleidung anzuziehen. Die Sache läuft jedoch nicht wie geplant, denn anscheinend hat die Verwaltung die Sicherheitsmaßnahmen erhöht und sie werden entdeckt. Im Laufe der Verfolgungsjagd und einer Schießerei stößt Batman dazu, der sich sogleich auf den Joker fokussiert, da er fälschlicherweise annimmt, er wäre der Red Hood. Dies ist der große Moment, der bereits vor dem Erscheinen von The Killing Joke bekannt war ― ein letzter Blick auf die menschliche Fledermaus und der vom Leben mitgenommene Witwer fällt in ein Becken mit einer Chemikalie, worauf er aus der Fabrik gespült wird. Seine Haut brennt und beißt, sein ganzer Körper fühlt sich komisch an, die Metallmaske sitzt bleiern auf seinem Kopf und engt ihn ein. Als er sie abnimmt und sein Antlitz in der Spiegelung einer Regenpfütze entdeckt, bricht er in ein Gelächter, indem sich Wahnsinn und Verzweiflung sowie ein Schimmer der Befreiung die Waage halten. Der Joker ist geboren und fortan soll ihn nichts mehr belasten; keine Verantwortung seiner Familie gegenüber, keine Rechnungen, keine Vermieter, die ihn nicht mögen, keine Zuschauer, die nicht applaudieren, wenn er einen Witz erzählt. Nichts von alldem hat mehr einen Wert. Der Joker ist frei und er selbst das personifizierte Chaos.


Quelle Batman: The Killing Joke Seite 33 (all rights by DC Comics)


3.5. Das Verhältnis zu Batman

Durch das vorher dargestellte Erlebnis im Leben des Jokers wird klar, warum der Batman so eine bedeutende Rolle für ihn spielt. Er ist Teil seines Leidenswegs und gleichzeitig ein bedeutender Faktor seiner Verwandlung, wodurch sich beim Joker eine Obsession für den Flattermann einstellte. Im Film wird deutlich, wie er ihn sieht; nämlich als einen Freak, gleich wie er selbst einer ist und er gesteht sich ein, dass er den dunklen Ritter gewissermaßen braucht. Durch ihn ist der Joker erst komplett; er verleiht seinem Leben Bedeutung. Er liebt es mit Batman sein Spiel zu treiben und befindet sich dadurch in einem Dilemma. Denn am liebsten würde er ihn umbringen, aber andererseits kann er das nicht, weil er sonst seinen einzigen kongenialen Gegner verlieren würde. Es besteht sozusagen eine Art Hassliebe seitens des Jokers und der Fakt, dass Batman willkürlich niemals jemanden töten würde, schafft den Rahmen für einen scheinbar endlosen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, der nur dadurch unterbrochen wird, wenn es wieder einmal gelingt den Joker in der psychiatrischen Anstalt Arkham Asylum einzusperren. ―


Quelle Batman: The Killing Joke Seite 42 (all rights by DC Comics)

4. Schlussbemerkung

Es verwundert nicht, dass bereits kurz nach dem Erscheinen der zweiten Batmanverfilmung so viele Menschen sich als verkleideten Joker im Internet präsentierten und so ihrer Wut Ausdruck verliehen. Denn wie bereits erwähnt, stellt der Joker das personifizierte Chaos dar. Er ist gleichsam ein Symbol für unsere innere Wut, unsere Zerrissenheit, unser Problem, das wir mit der Härte des Lebens und all seinen Facetten haben. In ihm kommt Rebellion und Auflehnung zum Ausdruck; ja die trotzige Reaktion eines geschlagenen und unglücklichen Kindes, das lieber die ganze Welt brennen sehen möchte, als noch länger in seiner Ohnmachts-position zu verharren; um hier bildlich zu sprechen. Die Hässlichkeit des Jokers ist insofern ein übersteigertes Abbild der uns innewohnenden Aggressionsneigung, die Freud in seinem kulturtheoretischen Werk Das Unbehagen in der Kultur beschreibt.

Aus einer gesellschaftskritischen Perspektive kann man die Figur des Jokers auch mit der Figur des V vergleichen, dessen Maske, das Gesicht vom Rebellen Guy Fawkes, in diesen Tagen als Symbol der Anonymous & Occupy-Bewegung gilt. Auch sie ist ein Sinnbild von Revolte.

Zieht man die Kritische Theorie von Herbert Marcuse heran, so darf im Joker und der Verwendung seines Bildes in abgeschwächter Form ein Symptom der Großen Weigerung gesehen werden. Denn auch wenn man sich nicht mit dem Wahnsinn und dem Bestreben Chaos zu verbreiten identifiziert, so doch mit den Ansichten, dass dem System und dessen Eindimensionalität Widerstand geleistet werden soll.

Wie auch immer man den Joker sehen will, Fakt ist, dass eine bestimmte Attraktivität von ihm ausgeht und seine Ansichten und Geschichten bereits viele Millionen Leser begeistert haben. Besonders durch den jung verstorbenen Schauspieler Heath Ledger (siehe die Abbildung ganz oben) hat der Joker seinen Siegeszug als Kultfigur besiegelt. Das Böse, Absurde, Diabolische und Hässliche hat dadurch ein Gesicht und unweigerlich seinen Platz in der Filmgeschichte. Ausgezeichnet und zu einem der besten Filme aller Zeiten gekürt, zeigt sich hier die pathologische Struktur einer menschlichen Psyche, die von sich selbst behauptet, sie sei kein normaler Krimineller, sondern ein höheres Kaliber.


ENDNOTEN:

(1) Der Comic Distributor DC bzw. vielmehr das DC Universum besteht nicht nur aus einer Erde, sondern es stellt ein multiples Universum dar. Dementsprechend gibt es mehrere Zugänge zu den Charakteren, die sich auch in historischen oder futuristischen Verarbeitungen zeigen können. So spielen manche (Elseworld)-Geschichten in einem mittelalterlichen Milieu und andere wiederum in der Zukunft. Generell haben diese Geschichten nichts mit dem Hauptuni- versum zu tun und sind meistens auf Einzelhefte beschränkt.

(2) Das Golden Age der Comicliteratur erstreckt sich von den späten dreißiger Jahren bis zu den späten vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts.

(3) US-Batman #426 – 469 (Dez. 1988 – Jan 1989) – Autor: Jim Starlin; Zeichner: Jim Aparo

(4) Gesonderte Einzelausgabe von 1988 – Autor: Alan Moore; Zeichner: Brian Bolland

(5) Eine Heftserie ohne Beschränkung oder voraussichtliches Ende.

(6) Eine exakte Übersetzung des Wortes buggo konnte nicht gefunden werden, aber es liegt die Vermutung nahe, dass es umgangssprachlich ist und vom Wort bugger stammt, was so viel wie Scheiße, Mistding, Scheißkerl oder Saftsack bedeutet. Da der Joker in seiner Karriere als Krimineller schon oft im Arkham Asylum war, einer psychiatrischen Einrichtung, bezieht er sich wohl auf die verrückten Insassen, die mit Medikamenten wie Haldol, etc. ruhig gestellt wurden und infolgedessen wie gelähmt sabbernd dasitzen.


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Finde ich eine sehr gute Artikel Idee, toller Content.

Wie fandest du den neuen Joker Film?

Kommt es hart auf hart und die zivilisierten Menschen fressen sich gegenseitig.

Finde ich gar nicht mal so falsch die Aussage.
Es kommt nur drauf an, was einem passiert, aber jeder hat irgendwas im Leben, für das er Töten würde.

Bin zwar der Überzeugung, dass jeder Mensch im Inneren sozial ist und seinen Mitmenschen im Grunde gerne hilft aber Aggressionen sind doch genauso in uns verankert.(und Beschützerinstinkt für Familie, was ja an sich etwas sehr soziales ist, aber auch zu Gewalt gegen andere aus Rache oder Angst führen kann.)

Hast du sehr schön geschrieben alles, würde mir mehr solche Artikel hier wünschen.

Frohes neues noch!

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Hey, danke :-)

mir gefiel der neue Film extrem gut. Um ehrlich zu sein musste ich mir schon paar mal das Heulen verkneifen. Was mir richtig gut gefiel, dass der Charakter nicht schwarz-weiß gezeichnet war; er hatte richtig Tiefgang und zeigte auch die verletzliche Seite, das Gute in ihm. Hab schon lang keinen so bewegenden Film mehr gesehen...

Dir auch ein frohes Neues! Alles Gute

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Ich dachte erst das sei jetzt der zweite Teil zu dem Artikel den du schon Anfang 2019 veröffentlichst hast. Aber nein das ist ja jetzt eine Neuauflage? Habe ich damals auch kommentiert aber du hast es scheinbar nicht gesehen. Auf jeden Fall ein Artikel den ich anscheinend sehr gut in Erinnerung behalten konnte. Genau solche Artikel die sich mit Interpretationen von Kunst befassen will ich hier lesen!

Ich glaube jeder kann sich, je nach Persönlichkeit, aktueller Situation und als was man die Figur sieht, etwas mit dem Joker Identifizieren. Ich selbst sehe andere Menschen sogar auch in einigen Situationen manchmal als Labormäuse an. Aber genauso hat eben auch jeder etwas von Batman in sich, wodurch sich das dann ausgleicht. Es sind zwei Extrema die diese Charaktere repräsentieren.