Seltsame Begegnungen auf See

in #deutsch4 years ago

Aufbruch nach Haiti

Der Sturm hatte weiträumig seine Spuren hinterlassen. Auf der gesamten Insel gab es Überschwemmungen, Erdrutsche und Schlammlawinen. Das Wasser war trübe wie Milchkaffee und wir mussten praktisch im Blindflug durch das Riff vor der Bucht aufs offene Meer hinaus navigieren. Joanna beeindruckte das überhaupt nicht, sie wollte raus und hüpfte bewaffnet mit Kamera und Funkgerät aufgeregt auf dem Vordeck umher. Das Funkgerät um mich zu warnen falls sie die Riffkannte erkennen würde… die Kamera vermutlich falls nicht. Jedenfalls waren wir unterwegs und verließen nun endlich diesen üblen Hafen. Wir mussten uns an Landpeilungen orientieren da die Bojen welche das Riff normalerweise markieren sollten durch den Sturm versetzt oder komplett weggerissen wurden. Langsam und Meter für Meter fanden wir aber den Weg und gelangten in tieferes Wasser.



Durchschnaufen, ein Highfive mit der Crew und wir setzten die Segel. Die Crew sind eigentlich nur Joanna und ich, aber diesmal hatten wir einen angehenden Arzt an Bord der sich als freiwilliger Helfer gemeldet hatte und mit uns nach Haiti ins Katastrophengebiet segeln wollte. Wir fanden die Idee großartig da er uns mit der Handhabung von Medikamenten und solchen Sachen eine wertvolle Hilfe sein konnte. Soweit uns bekannt war gab es keine ärztliche Versorgung auf den umliegenden Inseln. Ein Arzt und so eine Art Hospital war erst in Les Cayes zu finden - jedenfalls vor dem Sturm.

Bamba Maru schien sich wohl zu fühlen. Obwohl sie eigentlich viel zu schwer beladen war verhielt sie sich sehr gut. Wir segelten entlang der Nordküste der Dominikanischen Republik nach Westen um in die Windward Passage zwischen Haiti und Kuba zu gelangen. Das Meer war sehr tückisch und rau zu dieser Zeit, aber Bamba Maru störte das nicht.

Brav tanzte sie durch die Wellenberge und ein paar Delfine begleiteten uns in einen blutroten Sonnenuntergang. Den ersten auf See übrigens seit langer langer Zeit.

Kurz bevor die Sonne ins Meer getaucht war, rauschte unsere Angelleine surrend von der Spule. Ein Wahoo wollte sich zum Abendessen zu uns gesellen. Das konnten wir nicht ablehnen und so holten wir den dicken Fisch zu uns an Bord. Es war genug für die Crew, die beiden Hunde und den Bordkater. Wir wollten uns schon mal daran gewöhnen uns selbst um unser Abendessen zu kümmern den mit Einkaufsmöglichkeiten würde es in Haiti wohl eher schlecht aussehen. Wir hatten Vorräte für etwa ein halbes Jahr dabei und mussten so oder so selbstversorgend leben um den Überlebenden nicht auch noch die knappen Nahrungsmittel weg zu futtern.

Eine unheimliche Begegnung

In der Nacht zog ein Unwetter auf und wir mussten die Sturmbesegelung auf riggen. Die Wellen waren beeindruckend hoch geworden. Obwohl es eine pechschwarze Nacht war und man eigentlich gar nichts mehr sehen konnte, so konnte man die Höhe der Dünung dennoch spüren. Man konnte hören wie manche Wellen hoch über unseren Köpfen zu brechen begannen und nur hoffen dass uns nichts im Wege sein würde wenn sich das Boot ins nächste Wellental stürzte. Diese Hoffnung war jedoch vergebens. Kurz nach Mitternacht tauchte auf dem Radar ein Echo auf. Wir hatten irgendetwas sehr großes vor uns. Selbst mit dem Fernglas konnten wir nichts erkennen dabei musste ganz in der Nähe ein Frachter oder so etwas sein. Das Signal wurde immer deutlicher aber wir konnten nichts sehen.

Offensichtlich ein unbeleuchtetes Schiff das hier draußen im Sturm umher trieb. Vielleicht etwas anderes das vom Hurrikan los gerissen wurde. Wir wussten es nicht, hielten aber respektvoll abstand und waren froh als das Signal wieder vom Radar verschwand.

Überraschungsbesuch

Am nächsten Morgen hatten wir gerade Kap Tiburon im Südwesten Haitis erreicht und der Sturm hatte sich etwas beruhigt. Ein Vogel hatte wohl die Nacht über mit dem Sturm gekämpft und landete nun erschöpft bei uns an Bord. Normalerweise passiert so etwas nur wenn sie kurz vor der totalen Erschöpfung ins Meer fallen würden. Ansonsten finden sie die Gesellschaft unserer Hunde und besonders des Katers eher weniger einladend. Unser neuer Passagier hingegen blieb den ganzen Tag bei uns bis der Wind sich beruhigt und er sich ausreichend erholt hatte. Am Abend streckte er die Flügel, drehte zwei Runden um unseren Mast und verschwand Richtung Haiti.


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Es dämmerte und in der Ferne sahen wir die Berge Haitis. Nach Einbruch der Dunkelheit erkannte man nur noch ihre Umrisse anhand der fehlenden Sterne am Horizont. Wir kamen in Sichtweite und die Stimmung war beklemmend. Da war kein einziges Licht zu sehen, Kein Dorf, kein Auto, Kein Feuer… nichts. Bewohnte Inseln sind vom Meer aus gesehen in der Nacht immer bunt leuchtende Lichterketten auch wenn sie noch so klein sind. Hier war einfach nur ein schwarzes Loch obgleich uns bewusst war das dort tausende von Menschen sein mussten.

Normalerweise vermeiden wir es in unbekannten Gebieten bei Nacht anzukommen. Diesmal jedoch war alles anders. Wir warteten auf den Schutz der Dunkelheit und schalteten alle Lichter aus um möglichst unentdeckt in die geschützte Bucht auf der Insel Ille a Vache zu gelangen. Wir hatten bereits vor der Reise Kontakt zum Bürgermeister der Insel und die Leute dort wussten das wir kommen werden. Aus Sicherheitsgründen sagten wir jedoch niemandem wann wir ankommen würden. Die Herausforderung war also, nicht überfallen zu werden solange die Hilfsgüter noch an Bord sind. Die Nerven lagen blank auf den letzten 20 Meilen aber es gelang uns tatsächlich ungesehen in die Bucht zu schleichen. Wir warfen den Anker und legten uns erschöpft zur Ruhe.

Wenn Vorurteile auf die Probe gestellt werden

Ein krachen zerschnitt die Ruhige Nacht. Das ganze Schiff zitterte und peng wieder knallte unser Backbordrumpf auf den Strand. Der Anker hatte nicht gehalten da er nur auf abgerissene Palmblätter statt auf Sandboden gefallen war. Schlagartig wurde mir bewusst das wir gerade ein riesen Problem hatten. Noch bevor ich die Lage komplett überblicken konnte kamen überall aus der Dunkelheit Männer auf das Boot geklettert. So schnell schauten wir gar nicht waren mindestens zehn Einheimische an Bord und mindestens 20 oder mehr tummelten sich um unser gestrandetes Schiff. Jeder Kampf oder Gegenwehr wäre aussichtlos gewesen und ich beeilte mich Marley in den Salon zu sperren bevor er auf die dumme Idee kommen würde uns zu verteidigen. Sie waren nicht bewaffnet und wirkten an sich nicht bedrohlich, abgesehen davon das es viele waren und ich nicht wusste ob wir gleich entladen werden oder was als nächstes passieren würde.

Sie schoben, drückten und zerrten während ich versuchte mit Maschinenkraft das Boot vom Strand frei zu bekommen. Ganz offensichtlich wollten sie uns also nicht ausrauben und umbringen oder sowas. Ganz im Gegenteil, ohne dass wir ein Wort verstanden hätten, halfen alle zusammen um das Schiff wieder frei zu bekommen. Es schien aussichtslos, wir wogen mit der ganzen Ladung an Bord mindestens 20 Tonnen und doch löste sich das Schiff plötzlich mit einem Ruck und war wieder frei.

Als die Hektik verflogen war und das Boot nun sicher am Anker hielt stellten wir fest, dass unsere Helfer genauso schnell verschwanden wie sie gekommen waren. Keiner wollte etwas oder hatte etwas mitgehen lassen. Aber alle waren wieder weg. Verwirrt aber glücklich fielen uns die Augen zu.

Voodoo

Am nächsten Morgen holten wir den Anker auf und fuhren weiter in die Henry Morgan Bucht um näher am Land zu Ankern. Auf dem Hügel standen dutzende Einheimische die dort umher liefen und uns vermeintlich zu winkten. Jedenfalls machten sie weit ausholende Bewegungen mit beiden Armen die man als begrüßendes Winken interpretieren konnte. Joanna stand auf dem Vordeck und erwiderte fröhlich den netten Gruß. Wir winkten also freudig zurück und war total überrascht von diesem netten Empfang. Als wir neu verankert waren und das Beiboot ins Wasser gelassen hatten, es war etwa eine halbe Stunde vergangen, liefen die Einheimischen immer noch winkend dort oben auf dem Hügel herum. Es kam uns schon merkwürdig vor das sie uns so freundlich und lange begrüßten aber nicht zu uns herunter kamen. Nun, als wir an Land gingen und den Bürgermeister mit dem Priester und der Crew der Tandemeer trafen, erklärte man uns dass dieser Gruß absolut gar nichts mit uns zu tun hatte. Das wiederholte sich dort oben jeden Sonntag wenn die Leute ihre Voodoo Zeremonie abhalten und ihre Götter anbeten. Der Glaube an Hexen und Voodoo ist in Haiti sehr weit verbreitet und es gibt sehr viele Anhänger dieser Rituale.

Keine spezielle Begrüßung also für uns, jedenfalls nicht winkend auf dem Berg. Wir wurden dennoch sehr gastfreundlich empfangen und herzlich in der Gemeinschaft auf dem Dorf Marktplatz willkommen geheißen.

Aber mehr dazu im nächsten Beitrag.

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Vielen herzlichen Dank dafür.

Endlich habe ich mir die Zeit genommen, euren Beitrag in Ruhe durchzulesen, in dem Wunsch, ihn angemessen wertschätzen zu können.
Nun, was soll ich sagen?! Holla! Von der ersten bis zur letzten Zeile spannend geschrieben und ich kann nur sagen, dass ich froh bin, Stürme bisher nur an Land erlebt zu haben (vermutlich aber nicht solchen Ausmaßes), auch, wenn mir dabei kein Fisch so mir nichts dir nichts über den Weg läuft... ;-)
Ein phantastisches Erlebnis, das ihr mit den 20 Eingeborenen hattet. Wie sehr Vorverurteilungen uns doch begrenzen und unnötige Ängste schüren.
Ich bin sehr gespannt wie es weiter geht, glaube dabei ganz bestimmt, dass euch maximal die Insel, nicht aber ein Voodoo-Meister verzaubert hat.
Wir lesen uns, versprochen!
LG Chriddi