Die Macht der Tradition – Warum das Luthertum nicht meine geistliche Heimat werden konnte
Im Laufe meines kurzen Lebens bin ich stets auf der Suche nach dem wahren Christentum gewesen. Aufgewachsen in der charismatischen Bewegung habe ich mich dem Neuen Calvinismus zugewandt. Von da aus verlief mein Weg über den Reformierten Baptismus und den Presbyterianismus zum Luthertum. Darin ist bereits erkennbar, dass mein Weg von einer völlig traditionslosen Bewegung hin zu einer immer älteren Tradition verlief. Eine Zeit lang betrachtete ich die reformatorischen Bekenntnisse als Schlusspunkt. Schließlich lag dahinter ja das katholische Mittelalter, und die Reformation verstand sich als „Post Tenebras Lux“, d.h. „Nach Dunkelheit Licht“. Spätestens im Presbyterianismus dämmerte es mir langsam, dass die Kirche vor der Reformation ja nicht völlig geirrt haben konnte, schließlich hielt man den Baptisten ja entgegen, dass die Säuglingstaufe zu allen Zeiten und an allen Orten die übliche Taufpraxis gewesen sei. Als ich mich schließlich im Luthertum wiederfand, da war diese Dynamik nicht mehr von konfessionellen Grenzen aufzuhalten. Inmitten einer Ansammlung lutherischer Konvertiten, denen nichts mehr Freude bereitete als sich über Calvinisten und Evangelikale lustig zu machen, machte man mich vertraut mit der abendländischen Liturgie, der Eucharistie Ad Orientem, der Ikonographie, der Seligpreisung der Theotokos und ihrer ewigen Jungfräulichkeit (semper virgo), der Taufwiedergeburt und der Wertschätzung der Kirchenväter. Manche kamen, blieben eine Weile im Luthertum und gingen dann nach Rom oder in den Osten. Das konnte ich zunächst nicht nachvollziehen, schließlich hatte diese traditionsbewusste lutherische Blase doch einiges zu bieten. Warum blieben sie nicht? Da wurde die Messopferlehre aufgezählt, und natürlich die Apostolische Sukzession. Mit der Zeit bekam dann auch ich meine eigenen Zweifel. Ich wurde aufmerksam auf die Tatsache, dass die altkirchliche Praxis der Myronsalbung bis heute von den Orthodoxen und Katholiken praktiziert wurde. Ich suchte relativ hilflos nach einer Erklärung, warum die Lutheraner dies nicht beibehalten hatten. Denn in der Tradition der Kirche, wie sie beispielsweise bei Tertullian zu finden ist, wurde mit diesem Sakrament die Gabe des Heiligen Geistes assoziiert. Dazu kam dann auch bei mir der Zweifel, ob mein Pastor die Elemente in der Eucharistie konsekrieren und in der Beichte wirklich meine Sünden vergeben konnte. Ich hatte Zweifel, als er sagte „Das ist der wahre Leib unseres Herrn Jesus Christus“. Auch als er fragte „Glaubst du auch, dass die Vergebung, die ich dir zuspreche, Gottes Vergebung ist?“, war ich unsicher. Apostolische Sukzession wurde auch für mich ein Thema. Die Antworten, die die Lutheraner gaben, waren mehr als fragwürdig. Die Gleichsetzung von Presbytern und Bischöfen wurde biblisch begründet, und damit war das Thema erledigt. Damit wurde schlicht eine Tradition abgebrochen, die nachweisbar seit dem zweiten Jahrhundert existierte: Dass allein der Bischof sämtliche Weihen vollziehen sollte und durfte. In den Weihkonsekrationen wurden dementsprechend bereits die Dienste und Gnadengaben des Klerikers bestimmt. Diese zweckgebundenen Weihen wurden von den Lutheraner für null und nichtig erklärt. Stattdessen kannten sie nur noch eine Weihe und ein Amt der Kirche. Damit standen sie aber ziemlich allein da in der Kirchengeschichte. Schließlich kam dann noch die Anrufung der Heiligen hinzu. Ich lernte die biblische Lehre von der Gottesversammlung kennen und plötzlich leuchtete mir ein, wie die Fürbitterrolle der vollendeten Heiligen sich in das biblische Narrativ fügte. Luther bezeichnete die Anrufung der Heiligen in den Schmalkaldischen Artikeln als antichristlichen Missbrauch. Wie konnte das sein, wenn Johannes Chrysostomos und Ambrosius von Mailand diese Praxis lehrten und empfahlen? Wieso brachte Luther völlig einzigartige und traditionslose Erklärungen für seine Abweichungen von altkirchlichen Praktiken an? Und so war ich unbewusst an Kriterien gelangt, mit denen man Dogma von Häresie unterscheiden konnte. Diese Kriterien hatten mich bereits von einigen Lehren und Praktiken der Lutherischen Orthodoxie überzeugt:
> Sind sie altkirchlich?
> Haben sie die alte Kirche überlebt?
> Wurden sie von der universellen/katholischen Kirche akzeptiert?
Schließlich fiel dann auch das Luthertum diesen Kriterien zum Opfer. Denn wie die Lutheraner ihr Abweichen von der Tradition rechtfertigten, das hielt diesen Kriterien nicht stand. Was mir allerdings den letzten Stoß versetzte, das Luthertum endgültig zu verwerfen, war die völlige Abwesenheit der Schismalehre. Bekanntheit erreichte sie unter Cyprian von Karthago, der den markigen Spruch prägte, dass es außerhalb der Kirche keine Errettung gäbe (extra ecclesiam salus non est). Wer sich also von der wahren Kirche abspaltete, der lief direkt seinem Verderben entgegen. Ähnliches kann man bereits bei Ignatius von Antiochien und Irenäus von Lyon finden. Aber findet man sie im Luthertum? Fehlanzeige. Daraus resultiert heutzutage eine Unmenge an lutherischen Synoden, vorallem in Amerika, die nicht miteinander in Kirchengemeinschaft stehen, aber sich dennoch nicht gegenseitig das Wesen der Kirche absprechen, d.h. die Gültigkeit der zu verwaltenden Sakramente. Das Kriterium der Kanonizität existiert nicht. Das haben sie übrigens mit den Anglokatholiken gemeinsam, die zwar auf die Apostolische Sukzession großen Wert legen, denen aber ziemlich egal ist, welcher Splittergruppe sie angehören. Dem steht eine Reihe von kanonischen orthodoxen Kirchen entgegen, die sich gegenseitig anerkennen und das seit ihrer Entstehung. Wenn nicht mehr unterschieden werden kann zwischen kanonischen und nichtkanonischen Kirchen, wie das im Protestantismus der Fall ist, dann ist das ein offensichtlicher Beleg dafür, dass hier ein Bruch mit der Alten Kirche stattgefunden hat. Und damit stand mein persönlicher Bruch mit dem Protestantismus fest. Ich habe die lutherische Kirche mit ihrem Reichtum an abendländischer Tradition schätzen gelernt. Aber genau diese Tradition besaß eine größere Macht als meine Bindung an das lutherische Bekenntnis. Ich bin nicht der erste, dem das bewusst geworden ist. Ich reihe mich ein in eine Vielzahl von wahrheitsliebenden Lutheranern, die den Weg nach Osten beschreiten.
Grüße - habe gesehen, dass du mich auf 3Speak abonniert hast. Danke dafür. Ich freue mich Debatten über Religion und Glaube zu sehen, denn ich denke viele atheistische Westler haben Transzendenz mehr nötig als sie Glauben. Lasse auch mal ein Abo da und schaue was der "Christian Trail" bei dir so zu bieten hat.