Bertolt Brecht / Heiner Müller - Fatzer

in #deutsch7 years ago

Brechts bestes Stück stammt eigentlich von Heiner Müller, so könnte die Grundessenz von Fatzer lauten.

Zwar stammt das Material von Brecht, die Gestalt des Stückes jedoch von Müller. Es handelt sich also um eine Vollmontage aus Brecht-Material. Daher ist es sinnvoller beim Fatzer, von einem Müller-Stück zu sprechen. Denn Brecht hätte dem Material zweifelsfrei, also der Endgestalt des Stückes, das Fragment geblieben ist, eine ganz andere Form gegeben, als Müller.

Fatzer, genauer gesagt das Fatzer-Material nimmt im Werk Brechts eine ähnliche Schlüsselstellung ein, wie die Hamlet-Maschine im Werk Müllers, d.h. einem Intellektuellen, einer Art Hamlet des wissenschaftlichen Zeitalters, kommen erste Zweifel über die Verwirklichung der sozialistischen Revolution zu seinem Lebzeiten. Beschrieben wird also schon bei Brecht, was Müller in der Hamlet-Maschie "die Versteinerung einer Hoffnung" nennt.

Die Gründe des Scheiterns der Revolution werden dargelegt. Einige finden sich seltsamerweise - und das ist der historisch-dialektische Grundzug, das "Furchtzentrum" des Stückes, wie Brecht es an einer Stelle nennt, in der Figur des Fatzers selbst, also des einzigen wirklichen Revolutionärs im Stück. In seinem Individualismus, oder wie es im Titel heisst "Egoismus", sind die Gründe des Scheiterns bereits eingegraben. Kein Wunder, dass die anderen beschließen, dass Fatzer exekutiert werden muss, wenn die Revolution doch noch vor dem Scheitern kommen soll.

Die Exekutionsszene Fatzers bildet gleichsam den Urtext zur Massnahme von Brecht, wie später zu Mauser von Müller. Der weitere Verlauf der Geschichte hat dann gezeigt, im Stück selbst nicht mehr dargestellt, dass durch die Exekution Fatzers die Revolution nicht befördert, sondern behindert worden ist, oder wie Müller sagt "versteinert" ist. Diese "Versteinerung einer Hoffnung" ist dann das Grundthema der Hamlet-Maschine, Müllers wichtigstem Stück.

Statt die Handlung des Dramas nachzuvollerziehen, ist es an dieser Stelle besser, einige Zitate aus diesem "Jahrhunderttext" anzuführen. So erschließt sich die Bedeutung des Textes bereits aus wenigen Auszügen:

"Glotz nicht so kalt, vielleicht bist du ewig."

"Ich scheiße auf die Ordnung der Welt."

"Arm ist ärmer und reich reicher jetzt und zwischendrin ist nichts: das ist auch gut."

"Je mehr man hinsieht, desto wenig erscheint ein Mensch als Mensch."

"Wo früher ein Mensch war und ein anderer, da ist jetzt die Masse."

"Denn jetzt bald tritt hervor das neue Tier, das geboren wird, den Menschen auszulösen."

"Etwas mehr Unvernunft bitte!"

"Ich bin gegen eure mechanische Art, denn der Mensch ist kein Hebel."

"Behaltet von allem an mir nur das euch Nützliche, der Rest ist Fatzer."

"Die essen ihr Brot ohne Salz, das alles dauert noch tausend Jahre."

"Was ich nicht gern gesteh, gerade ich verachte solche, die im Unglpck sind."

"Das kommen großer Veränderungen kündet sich durch Furcht an."

"Sonderbar, wie sich verändert, was so dauerhaft scheint und unverändert bleibt, was uns als flüchtig gelehrt."

"Wie früher kamen Gespenster aus Vergangenheit, so jetzt aus Zukunft ebenso."

"Die Situation muss so halluzinativ sein wie gestellt."

"Sie haben nichts gelernt als ihre Solidarität, die ist, was sie vernichtet."

"Das Neue ist aber unter allen Umständen das Böse und nur das Alte ist gut."

"Die guten Menschen jeder Zeit sind die, welche die alten Gedanken in die Tiefe graben und mit ihnen Frucht tragen, die Ackerbauern des Geistes. Aber jedes Land wird endlich ausgenützt, und immer wieder muss die Pflugschar des Bösen kommen."

"Für die Freiheit, für den Terror: Zu schach, uns zu verteidigen, gehen wir zum Angriff über."

"Lass alles Alte liegen und beschließe sogleich Neues, den vollkommenen Umsturz."

"Die sind in Ordnung. Aber ich bin in Unordnung. So wie sie ist die Zukunft."

"So schlecht, Fatzer, ist eben unsere Lage, dass weniger als die ganze Welt uns nicht helfen kann."

"Alles, was nach uns geschieht, ist, als geschähe es nicht."

"Die wo selbständig sind, soll man als erstes erschießen. Sonst wird die Welt nicht anders."

"Das ist die Hoffnung, dass es solche gibt, die nichts verstehen von dem, was sie verstehen müssten, damit so ein Sumpf bleibt"

"Lasst uns vernünftig unserer neuen Niederlage ins Gesicht sehn!"

"In der Nähe großer Unvernunft ist schwer denken."

"Für das Experiment - ohne Realität - zur Selbstverständigung."

"Alles, was heute gedacht wird, ist nur, damit gut erscheine, was gemacht wird."

"Der Zweck, wofür eine Arbeit gemacht wird, ist nicht mit jenem Zweck identisch, zu dem sie verwertet wird. Die Erkenntnis kann an einem anderen Ort gebraucht werden, als wo sie gefunden wurde."

"Was vorbei natürlich, ist nicht besser als was kommt."

"Und da, was euch nichts ausmacht, dass der Regen fällt von oben nach unten, das ist mir unerträglich."

"Das sind Leute, die wollen, dass alle gleich sind, und können doch alleine nicht leben."

"Wer von uns gestern unruhig schlief, weil in ihm Furcht war, und gestern gar nicht schlief vor neuer Hoffnung, weiß heut, dass unsere Sache aus ist."

"Lasst uns jetzt ordnen unsere verlorene Sache."

"Wir werden den Tag nicht mehr schauen. Aber wir werden ausgerüstst sein."

"Seid nicht hochfahrend, Brüder, seid demütig, und schlagt es tot."

"Nach uns kommt nichts."

"Und von jetzt ab und eine ganze Zeit über, wird es keinen Sieger mehr geben auf der Welt, sondern nurmehr Besiegte."

Sort:  

Da haben Fatzer / Brecht / Müller vollkommen Recht. Genau an diesen Punkten liegen die Defizite jeder revolutionären Bewegung. Erst wenn man sich ihrer bewusst ist, kann man auch gegen sie ankämpfen. Jede Revolution ist damit ein äußerer und innerer Kampf zugleich.