Der Mensch im Zeitgeist

in #deutsch6 years ago

Larken Rose hat vor einiger Zeit in einer kurzen Notiz den Begriff des professionellen Weltbild-Herausforderers geprägt. Er schilderte darin das Problem, eine Botschaft zu haben, die von denjenigen, die sie bereits kennen, nicht mehr benötigt wird und von denjenigen, die sie bräuchten, nicht gewollt wird. Die einen haben die Botschaft bereits verstanden und die anderen wollen sie nicht hören. Weltbilder haben die Eigenschaft, selbstkonsistent zu sein. Sie schützen sich gewissermaßen selbst, da Menschen darin Sicherheit finden. Sein Weltbild in Frage zu stellen, ist fast gleichbedeutend damit, sich selbst in Frage zu stellen, da grundlegende Annahmen über sich selbst auf Grund des Weltbildes geschlossen wurden. Das Weltbild ist in diesem Sinne der größere Kreis, in dem sich der kleinere Kreis des Selbstbildes befindet. Das Selbstbild entwickelt sich auf Grund von Vorgaben, die das Weltbild eines Zeitgeistes bestimmt. Der Zeitgeist umschließt und bestimmt das Weltbild. Der Zeitgeist umfasst meist viele Generationen. Der Zeitgeist ist der noch größere Kreis um den Kreis des Weltbildes und um den Kreis des Selbstbildes herum. In der Mitte – umschlossen von auf ihn einwirkenden Meinungsmechanismen – befindet sich schließlich der Mensch. 


 

Anhand der Grafik ist unschwer zu erkennen, dass diese Ebenen den Menschen wie Schichten oder Häute umgeben. Mit einem Menschen in Kontakt zu treten heißt, einen Abgleich mit den anderen Ebenen vorzunehmen. Der Mensch definiert sich meist als sein Selbstbild, doch verrät bereits das Wort, dass es sich nur um ein Bild handelt, welches jemand von sich selbst hat. Normalerweise wird dies aber nicht hinterfragt, genauso wenig wie die anderen Ebenen. Um das Gefühl zu haben, sich mit einem Menschen auf „gleicher Ebene“ zu befinden, braucht es eine Art Übereinstimmung von Weltbild und Zeitgeist. Menschen haben das Gefühl sich zu verstehen, wenn sie eine Übereinkunft ihrer Geschichte über viele Generationen hinweg empfinden, genau wie die Sichtweise über grundlegende Schlüsse, die aus der Historie abgeleitet werden können. Daraus generieren Menschen die Annahme eines „ähnlichen“ Selbstbildes und leiten daraus das Empfinden „sich zu verstehen“ ab. Eine wirkliche Begegnung oder gar Berührung auf tieferer Ebene findet gar nicht statt. Zwei „Selbstbilder“ befinden sich in der Illusion eines Kontaktes. Beide gleichermaßen umfasst von Weltbild und Zeitgeist, die von beiden – den Konventionen entsprechend – nicht in Frage gestellt werden. 

Die Frage, ob nun der Zeitgeist das Weltbild bestimmt oder umgekehrt, ist letztlich wohl nur eine Frage der Definition. In dieser Betrachtung erscheint es mir sinnvoll den Zeitgeist als das bestimmende Element des Weltbildes zu sehen, da der Zeitgeist die Annahme bestimmt, ob die Erde eine Scheibe ist. Das Weltbild, die Erde als eine Scheibe zu sehen, bleibt solange aufrechterhalten, bis sich der Zeitgeist schließlich ändert und er es dem Menschen ermöglicht, in anderen Bahnen zu denken. Außerdem deutet der Begriff „Weltbild“ an, dass es sich um ein Bild, also um eine Annahme über etwas handelt. Der Zeitgeist bestimmt, welche Bilder der Wirklichkeit die Menschen formen können. Zum Verständnis des hier Besprochenen ist letztlich nur wichtig, bestimmende ineinander verschachtelte Elemente anzunehmen, die einander bedingen und aufeinander aufbauen. Jedes darüber liegende Element schützt das darunterliegende. 

Wir können uns diese Ebenen auch wie Schutzschilde vorstellen, hinter denen sich der Mensch im gewissen Sinne „versteckt“. Sicher hat er nicht das Gefühl, sich dahinter zu verstecken, doch rufen Versuche, an den Grundfesten dieser Annahmen von Selbstbild, Weltbild und Zeitgeist zu rütteln, Abwehrmechanismen hervor. Auch die Vehemenz mit der sich diese Abwehrmechanismen äußern, ihre Stärke und Entschlossenheit mit der sie hervorkommen, hat mit der Hierarchie dieser Ebenen zu tun. Sorgt schon das Hinterfragen des Selbstbildes für Stirnrunzeln, so sorgt das Hinterfragen von Weltbild oder gar des Zeitgeistes für regelrechtes Entsetzen. Normalerweise endet an dieser Stelle der Kontakt oder brechen die Beziehungen auf. Das Sicherheitsbedürfnis der einzelnen Menschen ist meist so stark, dass sie nicht wagen, sich in unsicheres Terrain zu begeben, in denen Wände und Böden des sicheren Weltbildes zu schwanken beginnen. Zu sehr hängt die Definition von sich selbst von den anderen Ebenen ab. Droht die eine Ebene in sich zusammenzufallen, wird sie alle anderen Eben mitreißen; so die nicht ganz unrichtige Annahme. Es ist also verständlich, dass Menschen sich in solchen Situationen für ihr Überleben entscheiden, selbst dann, wenn wichtige Entdeckungen über das „wahre“ Selbst so verborgen bleiben. 

Überleben hat für einen Organismus eine vorrangige Funktion. Wachstum und Entwicklung sind hingegen bedrohlich, da sie sich meist außerhalb von gewohnten Bahnen abspielen. Überleben hat damit zu tun, sich in sicheren und gewohnten Räumen aufzuhalten, während Wachstum und Entwicklung die Berührung mit dem Unbekannten benötigen. Solcherart Entwicklung lasten die Menschen meist dem Schicksal an. Sind es doch häufig einschneidende Ereignisse und Begebenheiten die ungeplant einem Menschen widerfahren. Normalerweise braucht es eine gewisse Zeit, bis sich die Wogen des Lebens wieder geglättet haben und der Mensch sich in seinen neuen Räumen zurechtfindet. In diesem Sinne vom Schicksal durchgeschüttelt, erfährt sich ein Mensch nach einer solchen Lebensphase um eine Erfahrung reicher. Meist ist zwar die Erfahrung da, einen Entwicklungsschritt gegangen zu sein, aber die Bewusstheit der Metaebene, der Ebene, die als Beobachter fungiert, fehlt und der Mensch favorisiert weiter den sicheren Raum des Überlebens, als in der Unsicherheit und im Unbekannten selbst eine Chance auf Wachstum und Entwicklung anzuerkennen. Im Unbekannten eine Chance für Wachstum und Entwicklung zu entdecken, würde im gewissen Sinne einen Ausgleich für das Unwohlsein und die Angst vor dem Unbekannten darstellen, doch hindert zumeist die mangelnde Fähigkeit Selbstbeobachtung den Menschen zu dieser Erkenntnis zu gelangen. 

So stehen sich also zwei Kräfte gegenüber: die eine ist die Ebene des Überlebens, des Vertrauten und sicheren Raumes und die andere beinhaltet die Chance auf Wachstum und Entwicklung, geht aber mit viel Unsicherheit einher. Aus dem Blickwinkel der Metaebene ist es möglich in dieser Unsicherheit eine Qualität zu sehen und so nenne ich diese beiden Ebenen Überleben und Qualität

Hinterfragen wir nun also in Gesprächen oder in Artikeln und Büchern das Selbstbild eines Menschen so „verstehen“ nur diejenigen das Angebot, die letztlich genau das erfahren haben. Die Idee, dass jemandem wie Morpheus aus dem Film „Matrix“ einem Menschen wie Neo vor die Wahl stellt, sich zwischen einer roten und einer blauen Pille zu entscheiden, ist eine Metapher. Die blaue Pille steht für den sicheren Raum, geschützt von nicht hinterfragtem Selbstbild, gestützt von Weltbild und Zeitgeist, wobei die rote Pille für die Entscheidung steht, vermeintliche Sicherheit hinter sich zu lassen und sich für Qualität und Entwicklung zu entscheiden. Wie es häufig bei Metaphern der Fall ist, läuft es in der Praxis meist etwas anders ab. Schon unmittelbar nach der Einnahme der roten Pille stellt sich Unbehagen ein und die Stimme, die wünscht, diese „Entscheidung“ jetzt sofort rückgängig zu machen, wird immer lauter. In der Praxis ist es viel leichter sich einer solchen Herausforderung wieder zu entziehen, als die rote Pille wieder aus seinem Organismus herauszubekommen. Die Erfahrung zeigt, dass sich die Menschen meist mit Händen und Füßen wehren, sobald man auch nur in die Nähe kommt, eingefahrene Strukturen zu hinterfragen. Alleine nur das Hinterfragen des Selbstbildes ruft schon starke Abwehrmechanismen hervor, doch wagst du an den Grundfesten des Weltbildes oder gar des Zeitgeistes zu rütteln, ist das Gespräch meist sehr schnell beendet. 

Schreiben wir also Bücher oder Artikel, um Menschen zu erreichen, erreichen wir immer nur die, die sowieso schon dort sind. Andere, für die es vermutlich wirklich wichtig wäre, verbleiben in ihren Abwehrmechanismen. Sie legen das Buch beiseite oder beenden das Gespräch. Meist nicht ohne sich selbst noch einmal zu bestätigen in dem sie den Überbringer der „unangenehmen“ neuen Sichtweise durch Phrasen ins Unrecht setzen. Je nach Themengebiete reichen dann die Vorwürfe von man sei „ganz schön eingebildet“ und „viel zu selbstsicher“, bis hin zu Etikettierungen wie „Nazi“ oder dass man darauf hingewiesen wird, dass das Hinterfragen gewisser historischer Faktoren unter Strafe stehen würde. 

Wir leben in einer Zeit, in der es salonfähig ist, dass eine Meinungspolizei darüber wacht, dass gewisse Dinge nicht angesprochen oder hinterfragt werden dürfen. Diejenigen die an der Spitze des Vorhabens stehen und das Denken und die Sprache der Menschen kontrollieren wollen, werden durch sehr viele unbewusste und teilweise dumme Menschen unterstützt, die in diesem Vorhaben sogar noch etwas Gutes sehen. In Wahrheit sichern sie nur ihren Raum des Gewohnten und wollen auf gar keinen Fall, dass andere anfangen, gewisse Dinge zu hinterfragen. Vermutlich verspüren alle diese Menschen eine diffuse Angst, wenn mehr Menschen anfangen ihr Selbstbild zu hinterfragen, anerkannte Weltbilder ebenfalls in Frage gestellt werden könnten. Vielleicht rüttelt es sogar am Zeitgeist und nicht nur eine individuelle Entwicklung, sondern sogar eine globale Entwicklung könnte geschehen. 

Von Zeit zu Zeit erleben wir, dass der Zeitgeist der uns Menschen umschließt, ein neues Denken ermöglicht. Viele Menschen mit neuen Denkweisen verändern Weltbilder und machen es anderen leichter ein neues Selbstbild zu erfahren. Vielleicht stehen wir an der Schwelle eines solchen Paradigma-Wandels, einer Veränderung des Weltbildes, einer Veränderung des Zeitgeistes, welches auf globaler Ebene das Denken der Menschen verändert und somit ihr Selbstbild. Vielleicht – und dies ist meine wirkliche Hoffnung – kommen wir damit unserem wirklichen Selbst wieder einen Schritt näher und erkennen, dass wir mehr sind als die Summe unserer Teile. Der Mensch ist noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung angelangt. Ganz im Gegenteil: Wir stehen an der Schwelle, dass der Mensch sich als das erkennt was er ist: frei! Geboren um frei zu sein und in Freiheit seine Erfahrungen zu machen, zu lernen und sich zu entwickeln. 

Unsere Weltbilder sind zumindest zu einem Teil Gefängnisse. An den Stellen, an denen wir sie nicht hinterfragen dürfen. Die Wahrheit braucht keine Stütze, nur die Lügen müssen mit Zwang und Gewalt aufrechterhalten werden.      

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Wieder mal ein erstklassiger Beitrag, und der Schlusssatz sollte eigentlich dreimal unterstrichen sein!