Die Freistadt
In libertären Kreisen wird häufig darüber philosophiert, welche Attribute ein freies Land besitzen sollte, doch ist die Realisation eines derartigen Projektes in der gegenwärtigen politischen Lage sehr unwahrscheinlich. Dies hieße, dass die Regierung eines beliebigen Landes eine Kehrtwende machen müsste und die Menschen von einem Tag auf den anderen in einem Freistaat leben würden. Völlig ungeachtet der Tatsache, dass viele Menschen in einem solchen Land gar nicht damit umgehen könnten, da sie plötzlich unter anderen Vorzeichen, nämlich denen der Freiheit leben würden. Sehr viele können sich darunter gar nichts vorstellen oder wären sogar, wegen gewisser Vorurteile, einfach dagegen. Über die Köpfe dieser Menschen hinweg würde eine Entscheidung gefällt werden, die viele nicht verstehen und deswegen auch nicht mittragen würden. Eine „Volksbefragung“ würde die Zerrissenheit innerhalb der Bevölkerung schnell deutlich machen. Selbst wenn es eine Mehrheit gäbe, die hinter dem Projekt eines freien Landes stünde, so würde die Umsetzung dennoch gegen den Willen eines großen Teils der im Land lebenden Menschen vollzogen werden müssen. Das bedeutet, dass auch ein gegen den Willen von vielen Menschen gegründeter freier Staat, im Kern den Zwang beinhalten würde, weil plötzlich alle Menschen in einem freien Land leben müssten; auch die, die es gar nicht wollen. Und wie wir wissen, ist die Aussage, das Land zu verlassen, wenn dir das Leben dort nicht gefällt, keine wirkliche Option. Zumindest dann nicht, wenn man das Land nicht freiwillig verlassen will. Freiheit, die den Menschen gegen ihren Willen verordnet werden würde, wäre keine Freiheit, sondern Zwang. Der geschilderte Vorgang wäre somit nicht organisch.
Stellen wir uns für einen Moment einmal vor, dass ein Blatt eines Baumes plötzlich beschließen würde, seine Form verändern zu wollen. Selbst wenn dieses Blatt auch andere Blätter des Baumes davon überzeugen könnte, dass seine Initiative Vorteile beinhalten würde und sich Nachahmer fänden, so würde doch aus den Wurzeln des Baumes eine Gegenkraft erfolgen, die das Blatt wieder zu seiner ursprünglichen Aufgabe, seiner angestammten Form, zurückführen wollte. Dieses Blatt würde sich in einem ständigen Kampf befinden, sein Vorhaben gegen den Willen des Baumes zu verwirklichen. Die Chancen, dass alle Blätter des Baumes sich verändern und ebenfalls die andere Form annehmen, sind sehr gering. Ein Baum verändert sich nicht, weil ein Blatt beschließt, den Baum zu ändern. Eher entscheidet sich der Baum, sich dieses opportunistischen und somit unliebsamen Blattes zu entledigen und es einfach abzuwerfen. Zusammen mit all den anderen Blättern, die vielleicht dem Beispiel des ersten Blattes gefolgt sind. Der Baum bestimmt, welche Form ein Blatt hat und nicht umgekehrt.
Natürlich ist die Geschichte dieses Blattes nur eine Metapher, doch zeigt sie auf, wie schwierig oder gar unmöglich es ist, eine bestehende Struktur verändern zu wollen, wenn man selbst ein Teil dieser Struktur ist. Auch eine große Gruppe gleichgesinnter Menschen wird innerhalb eines Staates nicht bewirken können, dass sich die grundlegende Ausrichtung eines Staates verändert.
Ein System besteht immer aus Verbänden von Einheiten. Dieses auch als „parts into wholes“ bezeichnete Prinzip, ist in jedem komplexen System zu finden. Einzelne Untereinheiten (Zellen) verbinden sich zu größeren Einheiten und werden zu Organen, die wiederum in ihrer Verbindung einen Organismus bilden. Jedes Teil ist auf der jeweiligen Ebene gleichzeitig ein Teil und ein Ganzes. Ein Gesamtsystem ist in seiner Funktion von der Einbindung seiner Teile abhängig. Einzelne, sich plötzlich anders verhaltene Untereinheiten, werden vom Gesamtorganismus als Bedrohung wahrgenommen und dementsprechend bekämpft und schließlich abgestoßen. Organische Veränderung findet nicht aus der Initiative rebellischer Untereinheiten statt. Die bestehende „Ordnung“ innerhalb eines Systems muss unter allen Umständen gewahrt bleiben. Die Konsistenz und Form eines Systems ist sozusagen selbstschützend. Interessant bei dieser Betrachtung ist die Tatsache, dass dieses Prinzip nichts über die Qualität des jeweiligen Systems aussagt. Nur das Überleben der jeweiligen Struktur ist wichtig. Sofern sich Strukturen innerhalb ihrer „Überlebensmechanismen“ bewegen, spielt Qualität eine untergeordnete Rolle.
Wenn wir nun die Entwicklung in Richtung Freiheit als Qualität definieren, so kann dies nur bedeuten, dass Untereinheiten, die aus freiheitlich ausgerichteten Teilen bestehen, sich zu freiheitlichen Organen verbinden und völlig unabhängig von bisherigen Systemen existieren müssen. Bestehende Systeme können in der bisherigen Betrachtungsweise nicht verändert werden. Die einzige Möglichkeit in diesem Kontext ist, neue Systeme zu bilden, die im Zuge der Evolution nun ihre höherwertige Qualität beweisen müssen. Über lange Zeit werden verschieden ausgerichtete Systeme in größeren Systemen in einer Art evolutionärer Konkurrenz stehen, bis die Zeit zeigen wird, welches System bessere Überlebenschancen aufweist. Anders gesprochen findet organische Entwicklung innerhalb unserer Betrachtungsweise immer aus dem Individuum heraus statt, welches sich mit anderen Individuen zu größeren organischen Verbindungen zusammenfindet, die mit anderen Systemen in Konkurrenz stehen werden. Als Individuum das Ganze verändern zu wollen wäre ein recht aussichtsloses Unterfangen. Viel realistischer wäre es, sich zu kleineren Untereinheiten zu verbinden, zu Gruppen oder besser „Gemeinschaften“, die dann beweisen müssen, dass sie für weitere Untereinheiten nicht nur in Hinblick auf ihre Qualität attraktiv sind, sondern auch das Überleben der jeweiligen Untereinheiten sichern können.
Natürlich wird es auch auf diese Gemeinschaften Angriffe der alten Systeme geben, sie wieder in bisherige Bahnen zu zwingen, doch steigen die Chancen auf Fortbestand in dem Maße, wie überlebensfähig und vor allem unabhängig sich die neuen Systeme über die Zeit beweisen. Wenn ich mich noch einmal der weiter oben geschilderten Metapher bediene, heißt dies: Wir müssen aus der Wurzel heraus neue Bäume gestalten, die in einem Wald anderer bisheriger Bäume beweisen müssen, dass sie nicht nur eine bessere Qualität aufweisen, sondern ihren Untereinheiten auch ein Überleben ermöglichen und somit in evolutionärer Sicht zeigen müssen, dass sie auch überlebensfähig sind. Dazu braucht es Autonomie. Das Überleben eines höherwertigen neuen Systems in Konkurrenz zu den bestehenden in qualitativer Hinsicht minderwertigen alten Systemen hängt also in ganz entscheidendem Maße von seiner Überlebensfähigkeit ab.
Der erste Schritt in Richtung einer freien Gemeinschaft ist also ihre Autonomie. Sie muss unter allen Umständen überlebensfähig sein. Sie muss sich weitestgehend von alten Systemen abkoppeln und unabhängig machen. Nur dann wird es möglich sein, auch andere Menschen gleicher Ausrichtung anzuziehen und somit Wachstum und Entwicklung zu erfahren. Wie auch auf zellularer Ebene muss eine Abgrenzung gegenüber schädlicher Elemente erfolgen. Sowie jedes Individuum eine Grenze besitzt, die das Individuum vom anderen abgrenzt und somit unterscheidbar macht (sonst gäbe es keine Individuen) braucht auch jede Gruppe eine Grenze, die ihre Ausrichtung definiert (sonst gäbe es keine Gruppe). Die Überlebensfähigkeit eines Individuums ist in hohen Maße von seiner Einbindung in eine Gruppe abhängig. Hier sei noch einmal daran erinnert, dass das Überleben einer Struktur innerhalb eines Verbundes im gewissen Sinne wichtiger ist, als die Qualität die dieser Verbund aufweist. Doch wenn das Überleben in konkurrierenden Systemen gleichermaßen gesichert ist, entscheidet die Qualität in evolutionärer Sicht, welches System über die Zeit größere Verbreitung finden wird. Einfacher Ausgedrückt, folgen die meisten Menschen alten Staatsstrukturen, weil ihnen vermittelt wird, dass in ihnen ihr Überleben gesichert wäre. Wie wir alle sehen, spielt hierbei die Qualität des Lebens kaum eine Rolle. Stattdessen sehnen sich die Menschen nach Strukturen, in denen sie Einbindung erfahren können, die sowohl für ihr Überleben sorgen, als auch eine gute Qualität besitzen. Sind beide Elemente zu finden, entscheidet sich jeder intelligente Organismus für die Anbindung an das qualitativ höherwertige System. Das System würde somit wachsen und dies ohne jeglichen Zwang, sozusagen aus sich selbst heraus, was Kennzeichen einer tatsächlich organischen Entwicklung wäre.
Wenn wir die bisherigen Ausführungen zusammenfassen, ergibt sich folgende Aussage:
Die Chance auf eine freiheitliche Gesellschaft ergibt sich aus einem in freiheitlichen Aspekten entwickelten Individuum im Verbund zu anderen ebenso entwickelten Individuen, die eine freiheitliche Gemeinschaft vom Menschen bilden. Diese Gemeinschaft muss nicht nur der Qualität eines freiheitlichen Lebens verbunden sein, sondern auch das Überleben der einzelnen Mitglieder gewährleisten. Sie muss größtmögliche Autonomie und somit Unabhängig von gegenwärtigen politischen Systemen anstreben und Geduld haben, dass organische Entwicklung und Wachstum nur durch Beispiel entstehen kann. Auch Freiheit darf niemandem aufgezwungen werden.
Wie groß derartige Gemeinschaften durch entwickelte freiheitliche Individuen sind, in Bezug auf die in ihr gelebte Qualität, ist letztlich zweitrangig. Entscheidend ist, dass nur größere Gemeinschaften das Überleben ihrer Mitglieder gewährleisten können. Umso größer die Gemeinschaft, umso größer die Möglichkeit, sich Autonomie zu erarbeiten und anderen an Freiheit interessierten Menschen ein attraktives Beispiel zu sein. Kleinere Gruppierungen können es relativ schnell schaffen, sich in einem der Gemeinschaft gehörenden Areal zusammenzufinden. Selbst die Idee einer virtuellen Stadt ist ein Schritt, eine derartige Gemeinschaft gleichgesinnter Menschen zu erschaffen. In einem nächsten Schritt ist es natürlich notwendig, auch in der Realität ein Haus oder ein Stück Land zu erwerben. Viele dieser Projekte gibt es bereits. Was meines Erachtens fehlt, ist die Verbindung dieser bislang einzelnen Projekte hin zu einem größeren Gefüge. Nur in Ausnahmefällen gelang es bisher, sich in größeren Verbänden zusammenzufügen. Meine Hoffnung ist, dass immer mehr Menschen das oben geschilderte Prinzip erkennen und daraus ein gemeinsames Ziel definieren. In weiteren Schritten wären dann einzelne freiheitliche Dörfer und sogar Städte vorstellbar.
Anhand des Beispiels einer freiheitlichen Stadt, die vielleicht zunächst klein ist, aber nach oben geschilderten Kriterien organisch wachsen könnte, wird schnell deutlich, dass wir durchaus Chancen haben – auf lange Sicht – auch eine freiheitliche Gesellschaft zu erschaffen, da mehr und mehr Menschen sich ganz natürlich der höherwertigen Qualität eines freiheitlichen Lebens zuwenden werden. Wichtig ist nur, dass jeder Einzelne in diesem Verbund die Sicherheit verspürt, die für sein Überleben notwendig ist. Dazu bedarf es auf jeder Entwicklungsstufe funktionierender Grenzen, die die Sicherheit der Bevölkerung gewährleisten. Wie an anderer Stelle hinreichend erklärt, dienen Grenzen in erster Linie der Sicherheit. Sie sichern das Überleben derjenigen, die sich innerhalb der Grenzen befinden. Sie sorgen auch für die Darstellung der jeweiligen Gruppierung, da sie sich nur innerhalb sicherer Grenzen entwickeln kann. Nur weil es eine Grenze gibt, ist zu erkennen, dass hier das eine endet und das andere beginnt. Es ist immer wieder erstaunlich, dass gerade Libertäre, die Individualität als eines ihrer wichtigsten Kriterien in Hinblick auf Freiheit betonen, diese Tatsache ignorieren. Das Überleben eines Individuums ist in hohem Maße von seiner Grenze abhängig. Keine Grenze – kein Individuum. Das Überleben eines Einzelnen ist in hohem Maße von seiner Einbindung in eine Gruppe oder Gemeinschaft abhängig und auch diese muss sich von Gegenkräften abgrenzen. Ohne Grenzen – keine Gemeinschaft – und keine Individuen. Gemeinschaften müssen sich, um ihre Qualität zu bewahren und das Überleben der einzelnen Mitglieder zu gewährleisten, zu größeren Verbänden zusammenschließen. Diese Verbände einzelner Gruppierungen müssen sich von Gegenkräften abgrenzen. Ohne Grenzen – keine Verbände – keine Gemeinschaften und keine Individuen. Schnell wird hier deutlich, welch zentrale Rolle eine Grenze im Zusammenhang zur Freiheit hat. Keineswegs ist eine Grenze ein Gefängnis oder gar als Ursache von Unfreiheit zu sehen, sondern ganz im Gegenteil gewährleistet erst eine Grenze das Überleben der Menschen. Jedes Dorf muss solange eine Grenze zu einem anderen Dorf bewahren, bis ein vollständiger organischer Zusammenschluss mit anderen Dörfern erfolgen kann. Dann übernimmt eine andere Grenze den Schutz dieses Verbundes von einzelnen Dörfern, bis daraus eine Stadt entstehen kann, weil mittlerweile so viele Menschen organisch in ihr ein Zuhause gefunden haben. Selbstverständlich muss diese Stadt eine Grenze besitzen über die sie sich definiert und präsentiert. Wenn dieses Beispiel Schule macht, werden mehr Städte folgen, bis eines Tages aus einem Zusammenschluss einzelner Städte ein ganzes Land entsteht, in dem freiheitliche Aspekte wertgeschätzt werden und welches die Sicherheit seiner Bewohner gewährleistet.
Im Grunde haben wir hiermit die Entwicklung über die Zeit beschrieben, die zu den heutigen Dörfern, Städten und schließlich sogar Ländern geführt haben. Das einzige Kriterium, welches bislang nicht die Beachtung gefunden hat, da ihr Stellenwert bislang nicht deutlich war, ist die Qualität. Die Qualität, die wir in diesem Text als Freiheit definiert haben. Da Menschen sich meist mehr Gedanken um ihr Überleben als um die Qualität ihres Lebens Gedanken machen, ist dies absolut nachvollziehbar. Wie wir wissen, ist auch auf zellularer Ebene die Qualität dem Überleben untergeordnet. Und dies ist die Basis auf der alles Leben ruht.
In einer freiheitlichen Gesellschaft muss der Qualität eine viel größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das „wie“ muss zumindest einen gleichwertigen Stellenwert haben, wie das „was“. Nur wenn beides – Qualität und Überleben – gleichwertig nebeneinander stehen, kann sich tatsächlich im Zuge der Evolution das Höherwertige verbreiten.
Die Qualität unseres Miteinander muss auf selber Stufe stehen, wie das Gewährleisten unseres Überlebens. Nur dann wird es zu freiheitlichen Gemeinschaften, zu freiheitlichen Dörfern und Städten kommen, bis eines Tages ein ganzes Land die Fahne der Freiheit aufziehen wird und signalisiert, dass sich hier die Grenze zu einem freiheitlichen Land befindet. Wenn du dich ebenfalls dieser Qualität der Freiheit anschließen magst, dann bist du herzlich willkommen und wir werden für deinen Schutz sorgen. Wenn du unsere Idee – die Idee der Freiheit – zerstören willst, wenn es sich dir nur darum dreht, zu nehmen und nicht zu geben, dann bist du hier nicht willkommen und wirst die Grenze nicht passieren können. Wir werden unsere Grenze mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen, weil wir dies den Menschen innerhalb unseres freiheitlichen Landes schuldig sind. Wir stehen für Qualität und für Überleben!
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