RE: Hirntod und Organspende: Mord im Namen des Lebens? [ExpressZeitung auf Steemit]
Ich stelle fest, daß auch ich kaum in der Lage bin, auf Anhieb kühle Gedanken zu der Art und Weise, wie hier die Organspende in den Dreck gezogen wird, zu präsentieren. Euer Ansatz, die Menschen auf einer emotionalen Ebene zu erreichen, funktioniert also auch bei Menschen, die der eher rationalen Berichterstattung der von Euch als Lügenpresse bezeichneten Medien zugetan ist. Psychologisch ist mir das auch evolutionsbiologisch begründbar, daß man (Achtung Redewendung) erst mit dem Herzen (oder dem Bauch) und dann ggf. mit dem Kopf denkt.
Immerhin sei Euch zugute gehalten, daß das Thema eh gerade wieder durch die Entscheidungsgremien geht. Der Zeitpunkt ist also nicht so schlecht gewählt.
Da der Link zum "Weiterlesen" auf eine Seite führt, die mich fragt, ob ich Youtube verlassen will, beziehe ich mich ausschließlich auf das hier bei Steemit gepostete Text und Bildmaterial sowie dieses PDF. (Hinweis am Rande zum von Euch verwendeten Comic: Plagiate sind hier nicht gern gesehen. Zukünftige Verwendung fremden Bildmaterials könnte in tatsächlich ernstzunehmenden - zur relativen Unsicherheit Eurer Beiträge führenden - Flags resultieren. Das ist dann übrigens keine inhaltliche Kritik!)
Ein lebenserhaltender Herzschlag im Sinusrhythmus läßt sich seit Jahren mit implantierbaren Herzschrittmachern erzeugen. Mit lebenserhaltend meine ich: zu einer guten Lebensqualität führender Durchblutung des gesamten Körpers und aller seiner Organe. Nicht die Kondition, die einen regelmäßigen Aufenthalt auf Intensiv- oder kardiologischen Stationen erfordert.
Allgemein ist Medizin schon sehr lange auch: Technik, die Leben verlängert. Dabei versucht sie wenig selektiv zu sein. (Kosten sind ein Thema, das ich hier nicht anschneiden werde.)
Eine bewußtlose Person, die am Straßenrand oder sonstwo liegt, wird, sofern sie nicht anerkannte Todeszeichen (Totenstarre, Leichenflecken, Fäulnis und/oder mit dem Leben nicht vereinbare Verletzungen) aufweist, immer reanimiert (inkl. Medikamentengabe) und auf dem schnellsten Wege in ein Krankenhaus zur Weiterbehandlung gebracht. Allein diese präklinischen Maßnahmen kosten ziemlich viel mehr Geld, als einem Normalbürger bekannt ist. Und die Krankenkassen zahlen das grundsätzlich für jeden Versicherten! Ist das nicht toll, so ein Versorgungsnetz zu haben?
An die Stelle des bisherigen Todesbegriffes mußte zwangsläufig mit mehr Erkenntnissen über die Neurologie des Menschen der Hirntod als ein in Grenzfällen anzuwendender neuer Begriff treten. Weil es eben Reflexe gibt und nicht alle von denselben Hirnarealen gesteuert werden.
Jedes Hirnareal aber kann durch räumliche Enge, Verletzungen, Einblutungen, Sauerstoffunterversorgung oder Vergiftungen funktionell beeinträchtigt werden.
Die Diagnostik, die diese Auswirkungen feststellt, kommt bei allen Patienten mit motorischen Störungen zum Einsatz. Es ist Wahnsinn, Schlaganfallpatienten, Menschen mit angeborenen Spastiken oder sonstigen Lähmungen die Erkenntnis, was sie können und was weswegen nicht, zu verweigern mit dem Argument, es gäbe kein funktionelles Absterben von Hirnzellen. Sowas kann eigentlich nur jemand bringen, der sich gar nicht mit den Details beschäftigen will!
Wie ich den Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes (Link 1, Link 2) entnehme, ist auch die vorangehende Diagnostik personal-, geräte- und kostenintensiv. Wie man zu der Einschätzung gelangen kann, hier könnten sich Kliniken bereichern, ist mir schleierhaft. Wenn es einen Bereich gibt, bei dem Kliniken zugeben, gut zu verdienen, ist es die Neurochirurgie - also ungefähr das andere Ende des Spektrums. In Bezug auf Verletzungen des zentralen Nervensystems fängt Hirntod grob gesagt da an, wo die Neurochirurgie versagt.
Und bevor jetzt der Vorwurf kommt, ich sei am Argument der Gegenseite nicht unteressiert: ich habe auch diesen Artikel gelesen:
Was bedeutet es, zu sterben?
Und ich komme zu dem Fazit, daß hier auf der einen wie der anderen Seite lebenswertes Leben gegen unwertes Leben ausgespielt wird - und das finde ich ganz schön krass! Außerdem wird im einen wie im anderen Fall über den Kopf des mehr oder weniger hirntoten Patienten entschieden, wie dieser zu leben hat. Als jemand, der selbst eine kleine Behinderung hat, finde ich das extrem übergriffig und die Vorstellung, man handle immer im Sinne des Komapatienten, sehr fragwürdig! Ebenso wie die Tatsache, daß man einerseits auf die medizinische Intensivversorgung drängt, andererseits aber den Personengruppen, die sie durchführen, geistige Reife abspricht!
Ich bin sicher, daß jeder Organspender auf die Frage, ob er lieber einem anderen Menschen ein Leben ohne Maschinen gönnen würde oder lieber selbst an Maschinen angeschlossen "weiterleben" würde, ersteres bejahen würde. Wer aus religiösen oder anderen weltanschaulichen Gründen für seine Vorstellungen vom Leben Akzeptanz verlangt, muß sie auch anderen zugestehen!
Edit: diese zwei Artikel zur aktuellen Widerspruchsdebatte möchte ich noch verlinken:
Transplantation funktioniert nur mit Spendern
Aktuelle Organspende-Debatte geht am Problem vorbei