Carriacou - kleine Insel, große Folgen (2/8)

in #deutsch4 years ago

Auch wenn die Zeit drängt, wollen und müssen wir in Ruhe Arbeiten, bei so einer Aktion auf dem Wasser darf man sich keinen Fehler leisten. Um das Boot möglichst ruhig auf den Wellen zu halten bleibe ich am Steuer und kann Martin somit nicht sichern. Das GriGri, die Steighilfe und die Seile werden zweimal gecheckt, dann ist Martin auch schon oben. Das Fall ist leider mal wieder von der Rolle geschlupft und hat sich wie schon damals in St. Lucia zwischen Rolle und Abstandshalter verklemmt. Jetzt auf die Schnelle lässt sich das nicht reparieren, viel wichtiger ist jetzt, dass wir das Segel runter bekommen. Ich versuche Selene so im Wind zu halten, dass möglichst wenig Druck im Groß ist um irgendwie das Fall lösen zu können …. keine Chance. Martin bleibt nur mit aller Kraft den Scheckel soweit zu verbiegen um ihn irgendwie aus der Öse lösen zu können. Keine schöne Lösung aber immer noch besser als das Fall durchzuschneiden.

In dem Moment, als das Groß nach unten in den Segelsack fällt, meldet sich auch schon Sandrine über Funk und gibt uns Anweisungen, wo wir anlegen sollen. Unser erster Kontakt ist – nun ja, professionell freundlich. Sandrine gibt sich alle Mühe nett zu sein, denn letztendlich hat Sie keine guten Nachrichten für uns. Das Aussetzten der Quarantäne sei nur ein Test für drei Tage gewesen und es würde nun wieder die alte Prozedur durchgeführt. Das sei aber gar nicht so dramatisch, in den Mangroven ist es schön ruhig, die Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser oder Diesel sei über die Marina sichergestellt … aha! Für jede getätigte Lieferung seien pauschal 10% Lieferkosten zu entrichten, gezahlt wird bargeldlos per Kreditkarte. Auf die Frage nach Internet-Zugang bekommen wir erklärt, dass Sie uns problemlos eine lokale Sim-Karte besorgen kann (gegen Gebühr, natürlich), das WiFi der Marina erwähnt Sie jedoch nicht. Schließlich ermahnt Sie uns eindringlich, uns an die Quarantäneregelungen zu halten, sprich nicht das Boot zu verlassen, auf keinen Fall an Land zu gehen, keine Besuche auf anderen Booten zu machen und auch keine Gäste an Bord zu lassen. Wenn wir was brauchen sollen wir uns ausschließlich an die Marina wenden. Bei Zuwiderhandlungen droht uns ein Bußgeld und die 10-tägige Quarantäne würde von vorne beginnen, im schlimmsten Fall würde uns die Einreise verweigert. Am Ende setzt sie noch einen drauf: da unsere Quarantäne nach 10 Tagen an einem Sonntag endet, müssen wir leider bis Montag warten, denn sowohl die Marina als auch die Mitarbeiter des Health-Departments seien nur werktags für die PCR-Tests da. DANKESCHÖN!
Reichlich frustriert tuckern wir in die Quarantäne-Zone und vertauen Selene über den Bug an den Mangroven – die Aussicht kotzt mich jetzt schon an, an die Moskitos habe ich in dem Moment noch gar nicht gedacht. Mit uns liegen noch 4 weiter Schiffe hier auf denen die Crews ihre Zeit absitzen. Zu unserer großen Überraschung nehmen es diese aber offensichtlich gar nicht so Ernst mit den Regularien, denn zum Abend versammeln sich alle (Franzosen) auf einem Boot zum gemeinsamen Essen. Und um es auf die Spitze zu treiben kommen noch zwei weitere Dinghys von außerhalb zur illustren Runde dazu – wir sind sprachlos, dass macht doch so alles überhaupt keinen Sinn!

Was wir nun die nächsten 10 Tage anstellen sollen, wissen wir noch nicht so genau. Auf alle Fälle muss das Großfall irgendwie wieder repariert werden. Wir sind schon fast froh darüber, dass etwas kaputt ist und somit eine Aufgabe auf uns wartet. Für Martin ist das jedoch nur eine schnelle Fingerübung und das Großfall nach einer Stunde wieder an Ort und Stelle.

Beim Arbeiten am Masttop hat er jedoch eine sehr gute Aussicht über die Mangroven und vor allem darüber, wie weit die Quarantäne-Zone offenbar reicht.

Wir hatten uns schon gewundert, wohin der Katamaran verschwunden ist, der gestern vor uns angekommen ist. Martin entdeckt ihn außerhalb der Mangroven … warum er und nicht auch wir?!?! Erstmal egal, vielleicht ändert sich ja wieder etwas zum Wochenbeginn. Über Funk nehmen wir Kontakt zur Seglercommunity in der Ankerbucht auf und finden jemand, der uns mit dem Passwort wenigstens erstmal weiterhelfen kann denn ohne Internet bzw. irgendeine Art von Kommunikation drehen Martin und ich wahrscheinlich bereits morgen durch. Keine 100 Meter von unserem jetzigen Standort entfernt befindet sich der Shop von Budget Marine, hier wiederum wartet sein 6 Wochen eine Super-Duper-Wifi-Antenne auf uns. Die Hälfte haben wir bereits angezahlt, der Rest sollte bei Abholung beglichen werden. Mit der Abholung ist das jedoch so eine Sache im Moment. Wir wollen auf keinen Fall weiter 10 Tage warten und bitten daher wiederum um Hilfe, für uns den „Bad Boy“ abzuholen.

Auch auf die Gefahr hin, dass uns das möglicherweise irgendwann auf die Füße fällt, sich in der Quarantäne mit jemandem auf 2 m Abstand zu treffen (bei Lieferungen über die Budget Marina wird auch nicht anders verfahren) bitten wir wiederum von außerhalb um Hilfe. Denn nachdem ich gesehen habe, wie es hier in der Quarantänezone zugeht, mach ich mir darüber keine Gedanken. Unsere sehnlichst erwartete Antenne wird uns in die Mangroven gebracht und ich halte schön 6 Fuß Abstand auf meinem Paddle-Board, schnelle Übergabe und schon ist die Sache erledigt, kein Händedruck, kein Küsschen-Links und Küsschen-rechts und schon gar kein gemeinsames Abendessen. Das Installieren der Antenne ist für Martin in weniger als einem halben Tag erledigt und somit bleiben noch weitere 9 Tage, die irgendwie überbrückt werden müssen…
Aus dem anfänglichen Ärger über die sinnlose, verschwendete Zeit wird irgendwann leichter Frust, dann Resignation, Lethargie, Apathie. Wir wissen beide nichts mit uns anzufangen. Es gibt aktuell keine Projekte auf dem Schiff, die wir angehen könnten, da uns zu allem irgendetwas von Land fehlt. Andererseits würde sich sicher etwas finden lassen, um die Zeit sinnvoll zu gestalten, aber wir sind beide so frustriert, dass uns zu allem der Antrieb fehlt. Ich raffe mich einmal täglich auf um mit dem Paddelbord die komplette Mangroven abzufahren, nicht sehr befriedigend da der Ausblick immer der selbe ist. Musik hören, Lesen, in der Sonne liegen – alles schön und gut aber für mich bzw. uns fühlt es sich unglaublich nach verlorener, unwiederbringlicher Zeit an. Ich bin mir sicher, dass wir uns mit dieser Situation hätten besser arrangieren können, wenn es nicht so sinnlos und vor allem willkürlich angeordnet worden wäre. Am 4. Tag der Quarantäne (Montag) kann ich mich einfach nicht zurückhalten und frage bei Sandrine per WhatsApp nach, ob es vielleicht Veränderungen im Einreiseprozess gegeben hat – leider nicht! Auch meine Bitte, unseren Ankerplatz von innerhalb der Mangroven nach außerhalb verlegen zu können, so wie es offensichtlich anderen Crews gestattet ist, lehnt sie vehement ab. Vor Corona habe ich nun wirklich keine Angst und niemand muss sich deswegen vor uns fürchten. Vielmehr haben wir inzwischen sehr große Bedenken z.B. an Dengue-Fieber zu erkranken, denn jeden Abend zum Sonnenuntergang werden wir von den Moskitos aus den Mangroven förmlich überrannt. Unser kurzer Disput via WhatsApp eskaliert schließlich (auf eine sehr höfliche Art und Weise) als ich Sie um Richtigstellung der geltenden Regeln innerhalb der Quarantäne bitte und ihr zeitgleich mitteile, dass letztendlich jeder (d.h. die quarantänierten Franzosen, also ihre Landsleute) auf die Regeln sch..ßen. Meine abschließende Frage, wozu die Quarantäne überhaupt notwendig ist, wenn sie keiner Ernst nimmt, bleibt unbeantwortet. Jedoch möchte sie von mir die Namen der Boote wissen und wer wen besucht hat. Genau mein Ding, denn jetzt komme ich erst so richtig in Fahrt … Martin ist von meinem Enthusiasmus nicht wirklich begeistert. Ich teile Sandrine (auf eine sehr höfliche Art und Weise) mit, dass ich die Regelungen für sinnlos halte und ich definitiv nicht ihren Job bzw. den der Coastguard zum Überwachen der Quarantäne-Zone übernehme… danach herrscht Funkstille. Ich schiebe es jetzt einfach mal auf die Langeweile, dass ich so zum Provozieren geneigt war. Letztendlich haben wir uns bzw. ich uns keinen Gefallen damit getan, denn Sandrine wird uns noch eine ganze Weile beschäftigen.

Die Tage schleichen dahin, drückende lähmende Hitze, täglicher Kampf gegen Moskitos, unzählige Stiche, die sich alle leicht entzünden. Obwohl die Mangroven unter Naturschutz stehen, habe ich kein gutes Gefühl beim Baden. Die Sicht ist minimal, das Wasser scheint verschmutzter und trüber zu sein als überall, wo wir sonst geankert haben. Gut, der Wasseraustausch zum offenen Meer ist sehr eingeschränkt aber wahrscheinlich liegt es eher an der angrenzenden Marina. Alles Wasser, jeder Abrieb, jeder Tropfen Farbe, Öl, Diesel, Antifoulig, alles was bei Arbeiten an Booten freigesetzt wird, geht direkt in den Boden und wenige Meter weiter in die Mangroven. Unsere Stimmung ist gereizt, es fehlt an Beschäftigung. Während ich die ersten Tage ziemlich auf Krawall aus war und Martin eher lethargisch die Situation aushält, dreht sich zum Ende der Quarantäne die Stimmung. Dank sozialer Medien erfahren wir von zwei befreundeten Crews, dass auch sie in Grenada ohne die vorgeschriebene Quarantäne einreisen durften: Anmelden, Test machen, 15 Minuten warten, fertig! Ich kann‘s erneut nicht lassen und frage ganz unbedarft in zwei FB-Gruppen für Grenada bzw. Carriacou nach, welche Regeln denn nun offiziell gelten. Mit einem derartigen Shitstorm hätte ich jedoch nicht gerechnet. Mir wird mehrfach gesagt, dass es keine Extra-wurst für irgendjemanden gibt, die Regularien für jedes Boot gleich sei. Mein Konter, ob möglicherweise der Flaggenstaat oder persönliche Beziehungen den Prozess beschleunigen, heizt die ganze Diskussion nur noch mehr an. Letztendlich hängt sich Martin auch noch mit in die Diskussion und am Abend sind wir uns dann sicher, dass wir es uns mit den unangenehmen offenen Fragen schon vor dem ersten Schritt auf die Insel in Carriacou total verschi..en haben. Für Außenstehende mag dass sicherlich völlig übertrieben wirken aber wenn ich eine Sache nicht ausstehen kann, dann ist es Ungleichbehandlung aus nicht nachvollziehbaren Gründen. Schon jetzt ist es so, dass bei der Einreise per Flug von den Carricom-Inseln keine Quarantäne notwendig ist, bei Einreise per Boot jedoch schon. Dass für einzelne Boote unter der Hand inoffizielle Einzelregelungen gefunden werden, lässt automatisch den Begriff Korruption im Raum stehen und mich macht so was einfach nur wütend. Leider bekommen wir beide uns an diesem Abend zum ersten mal seit wir zusammen unterwegs sind so richtig in die Haare. Martin ist felsenfest davon überzeugt, dass wir auf keinen Fall in der Tyrell Bay Marina Rauskranen sollten. Ist das Schiff erst an Land, sind wir bis zur Bezahlung aller Rechnungen nicht mehr Herr über Selene. Wenn wir eine Sache in der Karibik gelernt haben, dann ist es diese, dass jeder jeden kennt und meist auch noch verwandt ist. Hast du also ein Problem mit Person A und später mit Person B zu tun und die beiden kennen sich, wird das keine Vorteile für uns bringen, ganz im Gegenteil. Die Marina ist hier einer der wichtigsten Arbeitgeber auf der Insel und wir haben die Marina öffentlich angeschwärzt, Korruption und Willkür unterstellt. Jeder kann sich denken, dass das nicht wirklich gute Voraussetzungslosen für eine gute Geschäftsbeziehung sind. Ich kann an diesem Abend bzw. in dieser Nacht Martin nur mit Mühe dazu überreden, nicht Hals über Kopf von Carriacou zu verschwinden. Ausschlaggebend ist letztendlich nur der Umstand, dass wir bereits 200 US$ angezahlt haben und unser dringend benötigtes Antifouling hier her in die Marine verschifft werden soll. Würden wir jetzt gehen, wären auch dafür ca. 600 € verpulvert und wir stünden vor dem gleichen Problem wie vorher, nämlich dass das VC17m extra von Interlux hier nirgends zu bekommen ist. Wir halten also die verbleibenden 2 Tage die Füße still, Martin löscht seine Postings und wir tun so als hätte es nie auch nur ein Problem oder Grund zur Beschwerde gegeben – das flaue Gefühl jedoch bleibt. Mich treibt noch dazu eine ganz andere Sorge um. Einer der gefühlt hundert Moskitostiche hat sich entzündet, aus dem kleinen roten Punkt entwickelt sich ein formschönes Pickel und nach weiteren drei Tagen eine beachtliche zum Bersten gefüllte schmerzhafte Beule, die tief in den Muskel reicht – Prima!

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Man(n) braucht ab und zu das cool down einer Frau gerade wenn der Hebel an dem man sitzt kurz ist. Aber so läuft das oft in diesen Ländern
Mein Cousin der schon viele Jahre in der Karibik ist erzählt mir immer wieder ohne Vitamin B läuft nicht viel
VgA

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Shit Corona.......

Diese Lüge geht mir auch so was von auf den Geist.

Viel Glück weiterhin.

Liebe Grüße aus Uruguay
Peter