Gibt es ein Recht auf Rausch?
Freitagabend, eine beliebige deutsche Stadt: Tausende Feierwütige vergnügen sich in den zahllosen Clubs und Bars, tanzen, essen, trinken und rauchen Zigaretten. So weit, so problemlos. Artikel 2 des Grundgesetzes garantiert: “Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit.” Dieses Prinzip nennt sich auch allgemeine Handlungsfreiheit. Dazu gehört, dass es uns freisteht, Tabak und vor allem Alkohol zu konsumieren, wann immer wir es möchten – auch, wenn das per se Selbstschädigung ist. Prinzipiell haben wir die Möglichkeit, uns so oft und intensiv mit Bier, Schnaps und Co. abzuschießen, wie wir wollen. Aber eben nur mit diesen Substanzen. Alles andere ist illegal. Wie passt das mit der allgemeinen Handlungsfreiheit zusammen?
Das Recht auf Rausch gilt nicht immer – und ist deshalb eventuell verfassungswidrig
Tut es nicht, sagen Befürworter der Cannabis-Legalisierung. “Das Grundrecht auf Handlungsfreiheit sieht vor, dass wir uns selbst schädigen dürfen. Es gibt daher ein Recht auf den Rausch, und dieses Recht darf vom Staat nicht unterlaufen werden”, so der Bremer Strafrechtler Lorenz Böllinger im SPIEGEL-Interview. “Ich und viele meine Kollegen glauben daher, dass das Betäubungsmittelrecht in seiner jetzigen Form verfassungswidrig ist.”
Saufen geht klar, kiffen aber nicht: Wo ist da die Logik?
Auch, wenn es kein wörtliches “Recht auf Rausch” in den deutschen Gesetzbüchern gibt: Der Umgang mit dem Rausch ist in Deutschland von einer nicht zu leugnenden Doppelmoral geprägt. Einerseits ist es in fast allen Teilen des Landes überhaupt kein Problem, sich mit einer Buddel Rum auf den nächsten Grünstreifen zu setzen oder sich jedes Wochenende bis zur Besinnungslosigkeit zu besaufen – andererseits werden Cannabis-Konsumierende gnadenlos zur Rechenschaft gezogen, sobald sie mit einem Krümel Gras in der Hosentasche hopsgenommen werden. Verhältnismäßig ist das nicht. Schon gar nicht, wenn man sich vor Augen hält, dass jeden Tag 202 Personen an den Folgen ihres riskanten Alkoholkonsums sterben.
Schädlicher als Cannabis und trotzdem legal: Alkohol und das Recht auf Rausch
Alkohol zerstört zudem nicht nur auf Dauer die eigene Gesundheit, sondern prägt das ganze familiäre Umfeld: Jedes sechste Kind in Deutschland wächst mit einem alkoholkranken Elternteil auf. Die allgemeine Handlungsfreiheit ermöglicht es Alkoholabhängigen also, ihre nächsten Verwandten zu schädigen, zieht bei Cannabis, einer Droge, die erwiesenermaßen weniger Schaden anrichtet als Alkohol, aber die Grenze. Die Logik dahinter suchen wir noch.
Recht auf Rausch: Gekifft wird sowieso
“Es hat Drogen immer gegeben, und es wird die Lust darauf, die Sehnsucht, diese Genusssuche immer geben. Das ist eine willkürliche, historisch zufällige Konstellation, dass bestimmte Drogen davon ausgeschlossen sind”, sagt Böllinger und stellt sich mit dieser Aussage auf die Seite derjenigen, die den Rausch als unveränderlichen Teil des Lebens betrachten. Eine Position, die sich mit Blick auf die Geschichte bestätigen lässt: Im antiken Griechenland jagte schließlich ein Trinkgelage das nächste. Friedrich Nietzsche sah im Rausch einen der Grundpfeiler der menschlichen Existenz. Der französische Philosoph Georges Bataille war sogar der Meinung, eine Gesellschaft benötige Grenzüberschreitungen, sprich Rausch, regelmäßig, um normal zu funktionieren.
Von wegen unnatürlich – selbst Tiere mögen den Rausch
Zu guter Letzt macht die Sehnsucht nach dem Rausch auch vor der Tierwelt nicht halt. Delfine piesacken Kugelfische, damit diese das Nervengift Tetrododoxin abgeben, und reichen sie dann wie einen Joint an ihre Artgenossen weiter. Rund um den Globus konsumieren Tiere vergorene Früchte, um betrunken zu werden, und Rentiere fressen gerne Fliegenpilze, um deren psychoaktive Wirkung zu spüren. Den Wunsch, sich hin und wieder ein wenig von der Realität zu entfernen, haben wir scheinbar alle.
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