Editorial NEXUS 99
„Nur Sklaven demonstrieren.“ Als eine Freundin diesen Satz am Telefon fallen ließ, musste ich schlucken. Wie?, dachte ich. Soll man sich etwa alles bieten lassen? Soll man nicht für seine Rechte auf die Straße gehen? Als ich den Satz später bei Freunden ausprobierte, die gerade angeregt vom Spazierengehen kamen, erntete ich eine hörbare Atempause. Ist nicht dein Ernst, oder? Komm schon …
Ich hatte den Satz rasch wieder vergessen, denn mit NEXUS ging es in die heiße Phase. Um den Umzug des Magazins komplett zu machen, mussten Verträge ausgehandelt, das Büro bestückt, die Buchhaltung eingearbeitet, ein Shop gebaut, Mitarbeiter eingewiesen werden … und in all dem Trubel war noch das neue Heft zu machen. Die Druckerei scharrt schon mit den Hufen – sehen Sie es mir also bitte nach, wenn im Eifer des Gefechts der ein oder andere Klecks zu viel aufs Papier gelangt sein sollte.
Unser Leitartikel führt Sie in jene Gefilde, die unser Magazin so eigenwillig machen. Robert Guffey, der in Heft 66 den Freimaurer Richard Schowengerdt interviewt hat, knüpft an dessen Erfindung einer elektrooptischen Tarnvorrichtung an. Könnte es sein, so fragt sich Guffey, dass Ufos und ihre Besatzung von einer ähnlichen Technik Gebrauch machen? Er führt zahlreiche Beispiele für Begegnungen der unsichtbaren Art an, die einem die Pumpe gehen lassen – und die verlaufen, ganz im Widerspruch zu den Aussagen der Licht-und-Liebe-Fraktion, alles andere als friedvoll.
Eine mögliche Antwort darauf, mit wem oder was wir es hier zu tun haben, liefert Julian Palmer in der Twilight Zone: Ihm sind sie bei seinen DMT-Trips selbst begegnet, die Wesen, die an unseren Schaltern klimpern und sich von unseren mieseren Charakterzügen ernähren. Seiner Ansicht nach sollten wir diese Tatsache schleunigst zur Kenntnis nehmen, wenn wir ihnen nicht komplett zum Opfer fallen wollen. Durchs Heft sind sie schon häufiger gegeistert – und wenn ich mir so anschaue, wie wir Menschen gerade aufeinander losgehen, muss ich unweigerlich an das Ränkespiel dieser schattenhaften Drahtzieher denken.
Auf der einen Seite sind da die Covidianer: Sie halten die Mitglieder ihres Kults mit einer unsichtbaren, potenziellen Bedrohung in Angst, zwingen sie zu ritualisierten Handlungen, verteilen Sakramente und schließen jene, die sich ihren Geboten nicht unterwerfen und nicht salben lassen, aus ihren Reihen aus. Ihre Unmenschlichkeit nehmen sie selbst kaum noch wahr, sondern rationalisieren alles in dem festen Glauben, das Gute und Richtige zu tun.
Auf der anderen Seite stehen die Covidioten: Notorische Nörgler, die aus Prinzip meckern und in ihrer Schwurbelei nicht mitgekriegt haben, dass wir im wissenschaftlichen Zeitalter angekommen sind. Gebetsmühlenartig wiederholen sie verstaubte Ansichten, glauben an die Macht von Zuckerkügelchen und Gebeten, halten Impfungen für Teufelswerk und sind drauf und dran, wieder ins geistige Feld des Mittelalters zurückzufallen. Man kann ihnen noch so viele Daten und Forschungsergebnisse vorlegen, sie halten stocksteif an ihren Wahnvorstellungen fest.
Na, fühlen Sie sich getriggert und spüren dieses unangenehme Gefühl im Bauch? Werden Sie wütend? Entrüstet? Zack. Erwischt. Unsere Strippenzieher wird es freuen. Ob die nun in der Anderswelt sitzen oder ganz reale Machtpositionen einnehmen, spielt eigentlich keine Rolle – wichtig ist, dass wir uns klarwerden, was hier gespielt wird. Der Glaubenskampf, der gerade in so einigen von uns kocht, gipfelt in dem, was die einen als Sakrament und die anderen als Teufelswerk bezeichnen: der Impfung. Ich dachte mir: Das Thema passt doch prima in unsere Sektion „Kampf der Narrative“. Die zwei Familienmitglieder, die hier die Schwerter kreuzen, haben zu Papier gebracht, was gerade die halbe Menschheit spaltet. Beim Lesen und Nachblättern in den Referenzen sind mir zwei Dinge aufgegangen: Zum einen gibt es, lässt man sich wirklich auf die Gegenposition ein, genug Dinge, die man fürs eigene Weltbild mitnehmen kann. Und zum anderen sehe ich hüben wie drüben Dünkel, Arroganz und vor allem Angst – lecker Brotzeit für die unsichtbaren Parasiten.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ohne Spannung und Polarität kein Leben, ohne Gegenpositionen kein Wachstum. Klar ist aber auch: Sind die Pole zu stark aufgeladen, wird die Entladung heftig. Wenn wir so weitermachen und uns gegenseitig zu Spinnern erklären, dann ist der Blitz nur eine Frage der Zeit. Und wenn er einschlägt, dann wird es nicht bei den Narben bleiben, die der ganze Wahnsinn sowieso schon hinterlassen hat.
Nur Sklaven demonstrieren. Just auf dem Weg zu meiner Schreibklause zischte mir der Satz wieder über die Hirnrinde. Beim ersten Mal hatte er mich hinterrücks erwischt, schließlich war ich im August 2020 auch zweimal auf der Straße. Aber er schien in mich eingesickert zu sein und dort zu nagen.
Dass jetzt so viele Spaziergänger für die Freiheit marschieren, so dachte ich, ist sicher ein Schritt nach vorn. Trotzdem hat sich etwas in mir verändert, denn mich zieht dort nichts hin.
Gerade letzte Nacht ist es mir bewusst geworden. Da brauchte ich nämlich eine Verschnaufpause von der Arbeit und spazierte durch die leeren Straßen. Und ich spürte keinerlei Entrüstung – in meinem Kopf sprudelten Pläne.
Spannende Lektüre!
Ihr Daniel Wagner