Ideologie 108 - Eine Anmerkung zu Saul Alinsky 1/2

in #deutsch6 years ago (edited)

31. Dezember 2018

Vor einigen Wochen habe ich einen Artikel über ein Video des deutschen Geschichtsstudenten und YouTubers Libertarian Jahbulone verfasst [1], in welchem es um das Werk «Scum Manifesto» der extremistischen Feministin Valerie Solanas (1936-1988) [2] ging. Im November hat er noch ein sehr empfehlenswertes Video produziert, in dem er die Strategien des Saul David Alinsky (1909-1972) [4] näher erklärt. In englischer Sprache wird seine Art der Gemeinwesenarbeit Community Organizing genannt [5].

Saul Alinsky ist nicht nur in den USA eine Legende in Sachen politischem Aktivismus, sondern hat international seine Anhänger und Nachahmer gefunden. Deswegen kann man es sich nicht leisten, diese Art des Aktivismus nicht zu verstehen oder wenigstens Kenntnis davon zu haben. Gerade der 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Barack Obama (geboren 1961) [6], hat Alinsky's Strategien in seinen Wahlkämpfen zur Anwendung gebracht. Eine weitere illustre Figur der Demokratischen Partei in den USA, Hillary Clinton (geboren 1947) [7], hat in ihrer Ausbildung 1969 eine Arbeit über Alinsky geschrieben.

Saul Alinsky wurde 1909 in Chicago IL in eine jüdisch-orthodoxe Familie hineingeboren, die in ärmlichen Verhältnissen lebte. Der Religion fühlte er sich trotz strenger Erziehung nicht besonders nahe. Die Ehe der Eltern wurde in den frühen 1920er Jahren geschieden, was Saul Alinsky, der bei seinem Vater blieb, für einige Jahre nach Kalifornien führte. Ab 1926 studierte Alinsky in Chicago Archäologie und erreichte einen Bachelor-Abschluss. Danach gab es in diesem Beruf wegen der drückenden Wirtschaftskrise aber kaum Perspektiven, weshalb Alinsky sich sozial zu engagieren begann und mithilfe eines Stipendiums weiter studierte, Kriminologie und Soziologie. Das Studium brach er in den späten 1930er Jahren ohne Abschluss ab.

Den Soziologen gegenüber war Alinsky sehr skeptisch und hielt sie insgesamt für zu distanziert und damit realitätsfremd. Sein eigener Ansatz setzte dazu einen Kontrast, denn er hielt es für sehr wichtig, Teilnehmende Beobachtung [8] zu betreiben. In englischer Umgangssprache nannte er dies nosing around, was ganz wörtlich als herumschnüffeln übersetzt werden kann.

1939 wurde mit dem Back of the Yards Neighborhood Council [9] in Chicago gegründet, die erste Bürgervereinigung, die nach Saul Alinskys Konzepten aufgebaut wurde und entsprechend arbeitet. An ihr waren verschiedenste Vereinigungen beteiligt, auch Gewerkschaften, Geschäftsleute, Vertreter von Sport- und Sozialvereinen, Lehrer und Priester. Das ist insofern bemerkenswert, dass es zuvor nie dazu gekommen war, dass Gewerkschaften und katholische Priester zusammen in einer Organisation aktiv waren. Im selben Jahr wurde auch die überregional tätige Industrial Areas Foundation (IAF) [10] gegründet. In dieser Organisation wurden Gewerkschaften, verschiedene Bürgerinitiativen und Kirchen gebündelt, womit ein wesentlich grösserer Wirkbereich erzielt werden konnte. Die moderne IAF versteht sich als überparteilich, multi-ethnisch, interkonfessionell und interkulturell.

Saul Alinsky war in diesen Organisationen tätig, aber nicht als Führungsperson, sondern als Berater und Stratege. Er verfasste auch zwei bekannte Bücher - Reveille for Radicals (1945) [11] und Rules for Radicals (1971) [12] - wovon letzteres das bekanntere ist. Im Jahr 1972 verstarb Saul Alinsky im Alter von 63 Jahren an einem Herzinfarkt.


Zweigeteilter Link zum Video, da man es nicht direkt hier sehen kann und die Videos immer eingebettet werden: Zuerst https://www.youtube.com/watch?, dann v=UT0ldlj0iAQ anhängen.

Im Buch Rules for Radicals werden 13 Regeln vorgestellt. Jede dieser Regeln wird im Video näher erklärt. Diese Erläuterungen folgen in meinem zweiten Teil zum Thema. Hier ist die Liste so wiedergegeben, wie sie bei Wikipedia [12] zu lesen ist.

#RuleRegel
1Power is not only what you have but what the enemy thinks you have.Macht besteht nicht nur in dem, was man tatsächlich hat, sondern auch in den Dingen, von denen der Feind denkt, dass man über sie verfügt.
2Never go outside the expertise of your people.Verlassen Sie niemals den Erfahrungsbereich der Menschen, die sie vertreten.
3Whenever possible go outside the expertise of the enemy.Wann immer es möglich ist, bewegen Sie sich ausserhalb des Erfahrungsbereichts Ihrer Feinde.
4Make the enemy live up to its own book of rules.Bringen Sie den Feind dazu, seinem eigenen Regelbuch gemäss zu leben.
5Ridicule is man's most potent weapon.Spott ist die mächtigste Waffe der Menschen.
6A good tactic is one your people enjoy.Eine gute Taktik ist eine, an der Ihre Menschen Gefallen haben.
7A tactic that drags on too long becomes a drag.Eine Taktik, die sich zu sehr hinzieht, wird selbst zum Spielverderber.
8Keep the pressure on.Halten Sie den Druck aufrecht.
9The threat is usually more terrifying than the thing itself.Die Bedrohung ist normalerweise Furcht erregender als die Sache selbst.
10The major premise for tactics is the development of operations that will maintain a constant pressure upon the opposition.Die wichtigste Voraussetzung für die Anwendung der Taktiken ist die Entwicklung von Operationen, die in der Lage sind, einen konstanten Druck auf die Gegenseite aufrechtzuerhalten.
11If you push a negative hard and deep enough it will break through into its counterside.Wenn Sie etwas Negatives hart und tiefgehend genug forcieren, wird es zu seiner Gegenseite durchbrechen.
12The price of a successful attack is a constructive alternative.Der Preis eines erfolgreichen Angriffs ist eine aufbauende Alternative.
13Pick the target, freeze it, personalize it, and polarize it.Greifen Sie das Ziel heraus, frieren Sie es ein, personalisieren und polarisieren Sie es.

Im ersten Teil soll noch kurz auf die ideologische Positionierung Alinsky's eingegangen werden. Er war ein viel mehr ein Pragmatiker und Konsequentialist [13], als ein Ideologe. Der Konsequentialismus, der den moralischen Wert einer Handlung aufgrund ihrer Konsequenzen beurteilt, beinhaltet einen Hang zu moralischem Relativismus, im Gegensatz zu einer Tugendethik, die Prinzipien absolut setzt. Sehr wichtig war Alinsky auch, dass die Realität völlig ungeschönt wahrgnommen wird. Er bezeichnete sich selbst als radikal, das bedeutet, das er seiner sehr pragmatischen Herangehensweise sehr treu war. Von einer konservativen Tugendethik, die auf der Wahrung moralischer Prinzipien basiert, ist das definitiv weit entfernt.

Alinsky's Antrieb war wohl, über seine Strategien der Organisation die Besserstellung von Menschen aus den ärmeren Schichten herbeizuführen. Diese verfügten über wenig Einfluss - Alinsky selbst stammte auch aus solchen Verhältnissen. Sie konnten diesen aber wesentlich vergrössern, wenn sie sich als eine grosse Organisation versammelten und sich dann über irgendwelche Aktionen, die sehr ausgefallen sein konnten, bemerkbar machten. Unter dem Aspekt des Pragmatismus sehe ich auch die Einbindungen der Kirchen in die Bewegungen. Alinsky war nicht religiös und nicht an den spirituellen Inhalten interessiert, sah aber die gut organisierten Gemeinden und deren Fähigkeit, freiwillige Arbeitskräfte und finanzielle Mittel zu generieren als eine Chance, die eigenen Erfolgsaussichten zu verbessern.

Im Buch von 1971 findet sich bei den einleitenden Zitaten nach der Widmung auch ein Zitat Saul Alinsky's [14], welches eine Anerkennung Luzifers [15] beinhaltet. Er würdgigte ihn als erstem Wesen, das gegen das Establishment rebellierte und es so effektiv tat, dass er sich ein eigenes Königreich erkämpfte.


[1] Ideologie 102 - Eine Anmerkung zum «Scum Manifesto». @saamychristen, 08. Dezember 2018 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/ideologie-102-eine-anmerkung-zum-scum-manifesto
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Valerie_Solanas
https://en.wikipedia.org/wiki/Valerie_Solanas
[3] Politische Agitation 101 - Die Alinsky/Obama Methode. Libertarian Jahbulone, 18. November 2018
[4] https://en.wikipedia.org/wiki/Saul_Alinsky
https://de.wikipedia.org/wiki/Saul_Alinsky
[5] https://en.wikipedia.org/wiki/Community_organizing
https://de.wikipedia.org/wiki/Organizing
[6] https://en.wikipedia.org/wiki/Barack_Obama
https://de.wikipedia.org/wiki/Barack_Obama
[7] https://en.wikipedia.org/wiki/Hillary_Clinton
https://de.wikipedia.org/wiki/Hillary_Clinton
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Teilnehmende_Beobachtung
https://en.wikipedia.org/wiki/Participant_observation
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Back_of_the_Yards_Neighborhood_Council
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Industrial_Areas_Foundation
https://en.wikipedia.org/wiki/Industrial_Areas_Foundation
[11] Reveille for Radicals. Saul Alinsky, 1945, University of Chicago Press. PDF-Datei bei History of Social Work: https://www.historyofsocialwork.org/1946_Alinsky/1946%20-%20Saul%20Alinsky%20-%20Reveille%20for%20Radicals.pdf
[12] https://en.wikipedia.org/wiki/Rules_for_Radicals
Rules for Radicals. Saul Alinsky, 1971, Vintage Books. PDF-Datei bei History of Social Work: https://www.historyofsocialwork.org/1946_Alinsky/1971%20-%20Saul%20Alinsky%20-%20Rules%20for%20Radicals%20-%20OCR.pdf
[13] https://en.wikipedia.org/wiki/Consequentialism
https://de.wikipedia.org/wiki/Konsequentialismus
[14] Rules for Radicals. Seite ix, Seite 10 im unter [12] verlinkten PDF-Dokument.
[15] https://en.wikipedia.org/wiki/Lucifer
https://de.wikipedia.org/wiki/Luzifer


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Danke für den Kommentar!

Das ist der Nachteil der automatisierten Einbettung. Man kann den Link nirgendwo ausgeschrieben platzieren.

Deswegen sei ein zweigeteilter Link zum Video nachgereicht, da man es nicht direkt hier sehen kann und die Videos immer eingebettet werden: Zuerst https://www.youtube.com/watch?, dann v=UT0ldlj0iAQ anhängen.

Alle Videos des Libertarian Jahbulone finden sich hier: https://www.youtube.com/channel/UCTapafzHIFkZ9YKtnoeTTZg/videos