RE: Politik 105 - Jair Bolsonaro ist neuer Präsident Brasiliens
Danke für den Kommentar!
Den YouTuber The Red Elephants kannte ich bis vorgestern nicht. Dann wurde er irgendwo empfohlen und ich habe zwei seiner Videos gesehen. Im einen regte er sich darüber auf, dass er permanent von Twitter verbannt wurde, im anderen hat er über Bolsonaro gesprochen. Im ersten Video hat er über die freie Meinungsäusserung gesprochen und dass man dafür kämpfen soll. Das finde ich in Ordnung.
Mein Fazit aus dem zweiten Video ist, dass ich ihn für einen Idioten halte. Ich kann nachvollziehen, dass es auch westliche Kulturen gibt, die wesentlich stärker durch Gewalt geprägt sind als die mitteleuropäische. Ein Kurswechsel in einem solchen Land kann notwendigerweise mit mehr angewandter Härte und Konsequenz verbunden sein als man es in Mitteleuropa gewohnt ist und das muss nicht falsch sein. Was ich aber von The Red Elephants zu hören bekam, fand ich komplett abstossend, es graut mir davor.
Was hat er alles gefordert? 1. Öffentliche Bücherverbrennungen und Erschiessungen von Kriminellen und extremistischen Linken, die verurteilt wurden, mit TV-Übertragung, 2. Helikopterstaffeln um sich Pinochet-Style unliebsamer Leute zu entledigen.
Was geht in dessen Kopf vor? Ich sage, dass da drin vor allem völlig untauglicher Müll gerührt wird. Bücherverbrennungen braucht niemand, da nahezu alles online existiert oder im Ausland nachgedruckt werden kann. Dazu öffentliche Erschiessungen in der Öffentlichkeit mit TV-Übertragung. Sowas würden vielleicht ein paar Millionen Menschen weltweit applaudieren, aber ich gehe davon aus, dass das 95+ % der Menschheit Gott sei dank nicht positiv zu vermitteln wäre, mit den entsprechenden Resultaten in der Öffentlichkeit. Auch wenn linke Diktaturen in der Regel mehr Opfer gefordert haben als rechte, ist es für mich ein Fakt, dass die Linken in diesem Thema global die Deutungshoheit haben und sich daran mittelfristig nichts ändern wird. In Südamerika wird viel von den unter militärdiktatorischer Herrschaft Verschwundenen (Desaparecidos) [1] gesprochen. In den Militärdiktaturen von Brasilien (1964-85) [2] und Argentinien (1976-83) [3] kam es zum Verschwinden von Leuten und es wird dabei von Staatsterrorismus gesprochen. Gerade auch deswegen finde ich es überhaupt nicht witzig, wenn unverbesserliche Rechte in ihren Helikopterwahn verfallen und entsprechende Sprüche sehr lustig finden. Ja, es ist eine Tatsache, dass linke Aktivisten sehr unliebsam und gewaltaffin sein können, aber sich ihrer mit Erschiessungen und Helikopterstaffeln zu entledigen ist faschistoid und nicht ratsam, wenn man global halbwegs angesehen bleiben möchte.
Solche Dinge durchzuziehen, wäre aus meiner Sicht also völlig kontraproduktiv, dazu würde die Aktion von allen Menschen links und in der Mitte benutzt werden und jedem vorgehalten, der es nur wagt, mit Herrn Bolsonaro und Brasilien zu kooperieren. Speziell rechte aus Mitteleuropa und Amerika würden das sehr stark zu spüren bekommen und müssten um ihre Stimmenanteile bangen, wenn sie sich nicht dauernd distanzieren. Im Falle der Republik Südafrika ist den Linken schon einmal ein ähnlicher Coup gelungen. Das Apartheid-Regime wurde die Jahre vor seinem Ende massiv sanktioniert, auch von westlichen Ländern. Schweizer Rechte haben sich damals sehr lange dagegen ausgesprochen und bekommen das noch heute vorgehalten, in einem Ton, als hätten sie mit dem Teufel paktiert.
In den wenigen Tagen, die ich vor kurzem in Buenos Aires verbringen konnte, sah ich diesen Eindruck bestätigt. Viele fürchten sich vor zu viel zentralisierter Macht, Argentinien ist ziemlich zentralistisch und die Militärdiktatur wird als abstossendes Beispiel vermittelt. In Argentinien - ich gehe nicht davon aus, dass es in Brasilien ganz anders ist - sind das Militär, die Polizei, Industrielle, die römisch-katholische Kirche und die Freimaurerei wichtige Machtfaktoren. Wo da die Linken genau hineinpassen weiss ich nicht, sie sind jedenfalls auch da und ich halte es nicht für ratsam, dass etwa Militär und Polizei hingehen und einen Wahnsinn abziehen, der sie am Ende nur selbst schädigt.
[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Forced_disappearance
https://de.wikipedia.org/wiki/Desaparecidos
https://es.wikipedia.org/wiki/Detenido_desaparecido
[2] https://es.wikipedia.org/wiki/Desaparecidos_políticos_en_Brasil
https://pt.wikipedia.org/wiki/Desaparecidos_políticos_no_Brasil
[3] https://es.wikipedia.org/wiki/Desaparecidos_durante_el_terrorismo_de_Estado_en_Argentina
https://pt.wikipedia.org/wiki/Desaparecidos_durante_a_ditadura_argentina
https://steempeak.com/politics/@caitlinjohnstone/why-i-remain-hopeful-when-things-look-grim
Hier eine Einschätzung aus deutlich linker Perspektive. (Links hier aber eher Eva Bartlett links; klassisch opponierend gegen Kriegseinsätze der Nato usw. nicht dieselbe Hysterie wie von CNN.)
Ja, ist ja ein halbwegs großer Kanal und mind. das zweite Video, was ich sah, bei dem ich dachte: OmG, sagst du das da gerade wirklich? nur diesmal noch in größerer Vielzahl.
Und dann: Dafür bekommt er so viel Zustimmung? (Das ist eigentlich das viel schlimmere.)
Ich mein, auf der einen Seite würde er es begrüßen, wenn die Amis aus den ganzen Ländern rausgehen und keine Kriege mehr führen - also ist er nicht klassisch republikanisch-militaristisch.
Aber dann auf einmal.. ..schlimmer als Richard Spencer.
Und für auf den Kopf gefallen halte ich ihn nicht.
Er bräuchte definitiv mal Dissens von Freunden u/o eine Frau an seiner Seite.