Heilige Bastarde, Kapitel 37

in #deutsch5 years ago

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"Heilige Bastarde" ist eine High-Fantasy Web Novel und wird Kapitel für Kapitel über das Netz veröffentlicht. Zum Inhalt:

Einstmals wandelte der Gottheld Cherus unter dem Volk der Merowa. Er sang mit ihnen, kämpfte mit ihnen, trank mit ihnen und wie jeder Mensch liebte er. Der menschgewordene Gott hatte viele Frauen und zeugte mehrere Töchter und Söhne. Einer dieser Söhne, Hartried, ist nun König und herrscht über das Reich, das sein göttlicher Vater geschaffen hatte. Doch nicht jedes Gotteskind und nicht jeder Füst ist zufrieden mit seiner Herrschaft. Und während das Reich droht, auseinanderzubrechen, zieht in der Ferne eine neue Gefahr heran. Können die heiligen Bastarde ihr Land retten oder werden sie es in einem Machtkampf zerstören?

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Kapitel 4
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Kapitel 8
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Kapitel 19
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Heilige Bastarde, Kapitel 37, Piasus

Was davor geschah: Simund ertrank, als er von den Skeletten in das Wasser des Höhlenreiches gezogen wurde. Im Totenreich wies Mogdud ihm seinen Platz für den Rest der Ewigkeit zu: Der brennende Hof aus seinen Erinnerungen, als er ihn zum letzten Mal sah. Doch Simund hatte sich damit nicht abgefunden. Das Licht, von dem Melinde ihm prophezeit hatte, könnte seine letzte Rettung sein.
Im Tempel der Shaura umringen die Untoten und der Nekromant noch immer die restlichen Gefährten.

„Wo ist Simund?“, hörte Piasus Hedda fragen.

Er wagte kaum, sich umzublicken. Die Skelette drängten noch immer auf sie ein, griffen hinter das Schild, mit dem sie den Gang versperrten, versuchten ihn, Hedda und Rodried zu packen und zu sich zu zerren. Der Gang vor ihnen war mit Untoten zugestopft, eine knochige Wand aus augenlosen Schädeln. Ihre Kiefer bewegten sich und gaben klappernde Laute von sich.

Still verfluchte Piasus sich dafür, diese Reise angetreten zu haben. Er drehte den Kopf. Melinde saß da vor dem Wasser, durchnässt bis auf die Haare. Mit geweiteten Augen schaute sie zu Hedda hinüber. Um sie herum eine Pfütze und von Simund keine Spur.

Nun hatte es auch Rodried bemerkt. „Ist er … weg?“

Rodrieds und Heddas Sorge um Simund ließ sie vergessen, dass eine Untotenhorde sich durch den Gang zu zwängen versuchte.

„Helft mir hier!“, ächzte Piasus, während die Skelette ihn einen Schritt zurückdrängten. Besonders stark waren sie nicht, aber die schiere Masse machte ihm zu schaffen.

„Wo ist er?“, fragte Hedda erneut und ließ nun vollends vom Schild ab.

„Da … unten“, antwortete Melinde kleinlaut und deutete auf das Wasser.

„Was? WAS?“

„Was ist mit Simund geschehen?“, fragte Rodried.

„Verdammt!“, beschwerte sich Piasus. „Die Skelette sind noch immer da!“

„Rodried, hilf ihm!“, befahl Hedda und der Bursche gehorchte.

„Melinde, ist er … ertrunken?“

Piasus hörte ihre Antwort nicht, er war zu beschäftigt, sich gegen die Untoten zu wehren. Zu ihm drangen nur die gedämpften Seufzer von Hedda.

„Das war gerade erst geschehen?“

Piasus wandte den Kopf. Melinde nickte. Sogleich begann Hedda sich die Oberkleidung auszuziehen.

„Dann haben wir noch Zeit! Er kann noch gar nicht tief gesunken sein! Ich hole ihn da raus!“

„Nein!“, rief Melinde.

Hedda hielt inne. „Wieso nein?“

„Weil … Die Toten. Sie haben ihn in die Tiefen gezogen. Es ist zu gefährlich … und wahrscheinlich zu spät. Bitte Hedda. Lasse es.“

„In die Tiefen gezogen?“

Heddas Brustkorb hob und senkte sich. Sie sprach immer lauter.

„In die Tiefen … in die Tiefen.“ Und immer schneller. „Gezogen. Ertrunken. In die Tiefen.“

„Oh verdammt“, sprach Piasus. „Sie rastet aus.“

„Und wie ich ausrasten werde!“, brüllte Hedda. „Weg da und gebt mir den Schild!“

Sie stampfte auf die beiden zu. Sofort machten sie ihr Platz und Hedda riss ihnen den Schild aus den Händen.

„Hedda!“, rief Melinde noch. „Warte doch! Es wird alles gut!“

Die Untoten stießen nach vorne.

„Alles gut?!“

Hedda nahm den Schild mit beiden Händen. Sie holte aus – und zertrümmerte dem nächstbesten Untoten den Schädel.

„Nichts ist gut!“

Hedda stürmte durch den Gang. Sie schob die Skelette von sich, ohne dass sie ihr etwas entgegensetzen konnten. Ihr Angriff drückte die Untoten links und rechts von ihr an die Wand oder Hedda zertrampelte sie gleich mit den bloßen Füßen. Überall lagen Knochen verstreut, ein paar halbe Skelette krochen über den Boden.

„Hedda!“, hörte er Melindes Stimme. „Hedda, warte! Simund wird wiederkommen, ich habe es gesehen!“

Sie wollte gerade an den beiden vorbeilaufen, da hielt sie Piasus auf.

„Mädchen, erkläre dich. Was ist mit Simund?“

„Simund wird wiederkommen, da bin ich mir absolut sicher! Das war es, was ich in meiner Vision gesehen habe! Er ist ertrunken und wenn er dem Licht folgt, wird er wieder kommen. Wir müssen Hedda zurückholen, sie könnte sich wirklich verletzen.“

„Warte, das war geplant?“

„Nein, er wusste nichts davon. Nicht mehr, als ich ihm verraten habe. Wie hätte ich ihm das erklären können? Ich weiß ja selbst nicht, was genau mit Simund geschehen wird. Was er dort … unten erleben wird oder wie er zurückkehren kann. Aber ich weiß, dass er es schaffen wird! Bitte, wir müssen nichts weiter machen, als hier zu warten! Barutz ist bereits auf dem Weg zu ihm, wo auch immer das sein wird.“

Ach deswegen ist der Zwerg wie verschwunden. Und Piasus dachte schon, Barutz hatte sich nur aus Feigheit aus dem Staub gemacht.

„Dann hast du das mit dem Zwerg abgesprochen?“

Melinde nickte. „Heimlich, muss ich zugeben. Bitte, wir müssen Hedda helfen.“

„Die braucht keine Hilfe“, meinte Rodried und zeigte auf den Hauptraum.

Hedda hatte den Schild mit beiden Händen ergriffen und schlug damit wild um sich. Schädel barsten unter ihren wuchtigen Hieben. Knochen flogen quer durch den Raum. Hedda wütete unter ihnen wie ein menschgewordener Sturm. Holz auf Gebein, immer und immer wieder.

Als Piasus einmal einen Blick auf ihr Gesicht werfen konnte, lief es ihm eiskalt den Rücken herunter: Einer Bestie gleich war es, die Augen sprühten heißen Zorn, die Wangen glühten rot und sie fletschte die Zähne.

„Nun“, fiel Piasus dazu nur ein. „Lassen wir die sich mal etwas austoben. Die Skelette haben ihr nichts entgegenzusetzen, solange ihr Schild hält.“

„Schafft sie es auch?“, fragte Melinde. „Wenn nicht, müsst ihr ihr beistehen.“

„Ich glaube nicht, dass Hedda unsere Hilfe braucht. Oh, sie hat gerade einem Schädel mit der Faust ein Loch verpasst.“

„Aber das kann nicht richtig sein“, beharrte Melinde. „Ich habe gesehen, dass es Simund war, der uns rettet.“

Nun drehte sich auch Rodried zu ihr um und sah sie fassungslos an.

„Hast du das hier alles vorhergesehen?“, fragte er. „Du wusstest tatsächlich, dass wir uns in Gefahr begeben würden und Simund ertrinken würde? Wieso hast du uns nicht gewarnt? Wir hätten den Tempel einfach nicht zu betreten brauchen!“

„Versteh doch“, flehte sie, „meine Visionen sind nicht so genau! Sie sind verschwommen, voller zusammenhangsloser Bildern. Ich ahnte, dass es hier sein würde, aber bis sie uns angriffen, hatte ich keine Gewissheit. Und außerdem … es muss sein. Für Simund. Er wird verändert zurückkommen und uns retten. Das ist wichtig für ihn, für uns beide. Denkst du denn, ich habe mit Freuden angesehen, wie er ins Wasser gezogen wurde? Ich habe Tränen vergossen, noch während ihr schlieft, damit ihr ja nichts ahnt! Selbst Barutz hat sie gesehen, als ich ihm von diesem unsäglichen Plan erzählt hatte. Er kann es beteuern. Dennoch: Ich habe mir das nicht ausgesucht. Ich habe nur gesehen, was geschehen würde. Und ich bin der Überzeugung, dass Simund verwandelt aus seinem Tod hervorgehen wird! Also bitte, haltet Hedda auf! Sie kam in der Vision gar nicht vor und deshalb fürchte ich mich um sie.“

Dann trat Stille in den Hauptraum und sie blickten zu Hedda hinüber. Sie kniete vor dem Nekromanten und hielt sich den Hals, als würde sie ersticken. Ihre Augen quollen hervor, die Wut war der Verzweiflung gewichen. Der Nekromant zeigte mit seinem Stab auf sie, die Spitze direkt auf ihren Kopf gerichtet. Von den Skeletten ging keine Aggression mehr aus, sie standen nur stumm um sie herum, zwischen den Gebeinen ihrer von Hedda zerschmetterten Brüder.

„Was passiert mir ihr?“, fragte Piasus. „Hedda! Wehr dich!“

Ein Ruck ging durch die Kapuze des Nekromanten. Piasus fühlte sich sogleich von eiskalten Augen angestarrt.

„Was ist?“, fragte Melinde. „Was ist mit ihr? Bitte sagt mir nicht …“

„Es …“ Piasus zögerte. „Es geht ihr gut. Aber der Nekromant hat sie in seiner Gewalt.“

„Sehr richtig!“, sprach der Nekromant mit einer Kehle, die Staub zu spucken schien. „Sie ist in meiner Gewalt. Und mit der Macht, die mir Shaura verliehen hat, kann ich ihr das Leben schenken oder es ihr nehmen. Noch hängt es an einem seidenen Faden. Was werdet ihr tun? Oder besser: Wieso sollte ich sie am Leben lassen?“

Mit gequälten Augen blickte Hedda zu ihnen rüber. Sie streckte eine Hand nach ihnen aus, der Mund schnappte auf und zu, als wollte sie ihnen etwas sagen.

Der Nekromant führte eine Bewegung mit dem Stab aus. Hedda wurde zu Boden geworfen. Krämpfe schienen sie zu befallen, ihre Glieder zuckten zwischen den Knochenresten.

„Also“, sprach der Nekromant. „Wieso sollte ich euch am Leben lassen? Ich gehe davon aus, dass keiner von euch eine solche Kraft wie sie besitzt, sonst hättet ihr sie im Kampf unterstützt. Nur ein Wink und sie fallen über euch her.“

„Rodried!“, flehte Melinde. „Wir müssen Zeit gewinnen! Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Simund wiederkommen wird. Aber bis dahin brauchen wir Zeit.“

Als der angesprochene nur stumm dastand, wandte sie sich an ihn: „Piasus! Tut doch etwas!“

„Sei still“, sagte Piasus leise. „Und nenne nicht meinen Namen.“

„Was?“

„Ich habe da eine Idee.“

Eine dumme Idee.

Piasus trat aus den Gang.

„Sagt mir, Herr …“

Er wartete darauf, den Namen des werten Herrn Nekromanten zu hören.

„Werter Herr. Sagt mir, seid Ihr ein gebildeter Mensch?“

Er stand nun mitten im Raum, Hedda und der Nekromant nur wenige Meter von ihnen entfernt. Überall um ihn diese Skelette, stumm blickten sie mit ihren leeren Augenhöhlen.

Wieder keine Antwort.

„Vielleicht ist das auch eine dumme Frage, denn wir sind hier viel zu weit nördlich, als dass Ihr von mir hättet hören können. Wisst, ich bin in meiner Heimat im Süden und in den Kolonien der Mykerios am Goldsee als Thodius, der Philosoph der Freude, bekannt. Und um ehrlich zu sein, die Idee, heute noch ins Totenreich geschickt zu werden, sagt mir überhaupt nicht zu. Denn nach allem, was ich gehört habe, ist das ein wirklich trostloser Ort. Gibt es dort irgendwelche Freuden? Ihr scheint mir ein sehr ergebener Diener der Shaura zu sein, also müsst Ihr mir auch sagen können, was denn so freudvoll daran ist, ihr zu huldigen.“

„Was … macht denn ein Philosoph der Mykerios hier im Lande der Merowa?“, fragte der Nekromant.

Ha! Er hat angebissen!

„Nun, Reisen bildet, habe ich gehört. Man darf nicht nur an einem Orte verweilen, das macht körperlich und auch geistig träge. Ich wollte die Höfe der Merowa-Fürsten besuchen und ihnen dort meine Philosophie näherbringen. Dann hörte ich von diesem Zwergenvolk und davon, dass die Zwerge es ganz vorzüglich beherrschten, zu diskutieren, vor allem was die Rechtsprechung anbelangt. Darum sind wir durch die Unterwelt gereist.“

„Und nun seid ihr hier“, bemerkte der Nekromant.

Piasus zuckte mit den Schultern. „Neugierde ist die Grundlage des Entdeckergeists und auch sein Untergang. Also, was sagt Ihr? Könnt Ihr mir erklären, weswegen ein Philosoph der Freude sich nach dem Dasein im Reiche der Shaura sehnen sollte?“

Der Nekromant zeigte mit dem Finger auf ihn. Mit konsterniertem Zögern in der Stimme sprach er: „Dir … ist schon bewusst, dass ich euch alle umbringen kann und dass es keinen Unterschied macht, ob ich das mit dir ausdiskutiere oder nicht?“

„Gewiss, ja! Aber ich sterbe lieber bei dem Versuch, etwas dazuzulernen. Also?“ Piasus legte ein überzeugendes Lächeln auf. „Was sagt Ihr? Könnt Ihr mich bekehren?“

Vielen Dank fürs Lesen!
Dieser Text erschien zuerst auf Götterdunkel.de