Angst vor Langeweile? Mut zur Langeweile? Das regelt sich von selbst.

in #deutsch7 years ago

Der Beitrag https://steemit.com/deutsch/@physik0r/habt-mehr-langeweile von @physik0r hat mich zu diesem Text inspiriert. Meine Antwort wurde dort lang und länger und bevor ich dort den Rahmen sprenge, eröffne ich doch besser hier ein neues Thema. So gesehen gleicht der Beitrag von @physik0r einem Kristallisationskeim, der aus der Ursuppe meiner Gedanken neue Strukturen wachsen lässt.

Langeweile ist ein Zeichen höherer Intelligenz.

In der Zeitung las ich neulich diesen schlauen Spruch, der die obige Überschrift bildet. Beim "startpagen" (Googlen? Was ist das? Vorher nehme ich vier andere Suchmaschinen, die bessere, weil neutrale Ergebnisse liefern), – also beim Recherchieren kam mir dann noch diese Perle unter: http://www.stupidedia.org/stupi/Langeweile. Der dortige Artikel hat Unterhaltungswert, aber zusammengefasst landen wir wieder bei der Überschrift:

Nur vernunftbegabte Wesen ab einem gewissen Intelligenzniveau sind überhaupt in der Lage sich zu langweilen.

Der Rest der Menschheit ist damit beschäftigt, beim Gehen (links, rechts, links, …) die Atmung (ein, aus, ein, …) parallel zu bewerkstelligen, ohne jemanden anzurempeln, hinzufallen oder zu ersticken. Das ist dann schon Multitasking. Wird dann noch das Ziel (Supermarkt, Mc Donalds oder die nächste Kneipe) erreicht, Rrrrrrespeckt! (Mit 'ck'!)

Wer dann am Abend total verschnupft die schweren Winterstiefel auszieht und feststellt, dass auf einmal die Nase läuft und die Füße riechen, dem gerät das Weltbild aus den Fugen. Das muss sofort als Status bei Facebook rein. Besondere Perlen findet man hier: http://de.webfail.com/ffdts. Angeblich (und ich befürchte das auch) sind die dort präsentierten Facebook-Einträge echt. Lediglich Namen, Gesichter und Begriffe unterhalb der Gürtellinie wurden geschwärzt.

Was ich hier so flapsig schildere, hat einen ernsten Hintergrund.

Wo kämen wir denn hin, wenn die Leute ihr Gehirn benutzen würden und anfangen, selbständig zu denken? Es würde doch keiner mehr den überflüssigen Krempel kaufen, ohne den ein Leben nach Aussagen der Werbeindustrie gar nicht mehr möglich ist. Es muss unbedingt ein Kaffeekapsel-Automat sein, weil im Büro hat man auch so einen und die Nachbarn und wenn der George Clooney die Dinger toll findet, muss da ja was dran sein.

Klar! Das Kilo Kapsel-Kaffee (–KKK? Das erinnert sowieso an nix Gutes–) kostet dann auch schon mal gerne 40 Euro. Mich würde mal interessieren, wie viel von diesem Reibach bei den Kaffeebauern in Guatemala ankommt. Andererseits profitieren die kommenden Generationen davon. Auf der Suche nach Aluminium wird man künftig nur noch die Müllhalden umgraben müssen. Da sammeln sich Aluminiumberge an, die den Bauxit-Verarbeitungsprozess überflüssig machen werden. Win-Win-Situation also. Schbaß beiseite.

Die Menschen werden heute mit einem derartig großen Überangebot an Pseudo-Beschäftigungen dicht bombardiert, dass die wirklich wichtigen Dinge des Lebens verdrängt werden.

Man sollte sich immer vor Augen halten, dass einem statistisch gesehen 30.000 Tage zur Verfügung stehen. Vielleicht haben die kommenden Generationen ein paar Tage mehr zu erwarten, wenn sie nicht vorher beim "Selfie-machen" in ein Bärengehege fallen oder beim What's-Appen vom Bus überrollt werden. 30.000 Tage? Das sind 82,13 Jahre und da drängen sich dann Fragen auf: Eiche oder Fichte? Erd- oder Feuerbestattung?

Angesichts dessen wird der eine oder andere seine Prioritäten vielleicht doch neu ordnen.

Meine Langeweile ist mir heilig

Warum? Weil sie in meinem Leben so selten vorkommt. Und nein! Ich bin außer hier in keinem anderen Netzwerk vertreten. Ich hatte mal vor ein paar Jahren einen Account bei Facebook. Ich brauche das nicht. Ich will keine Leute mit albernen Partyhüten, irgendwelche Mittagessen oder Leute, die aus Eimern saufen, sehen. In meinem Real-Life-Freundeskreis wird über entsprechende E-Mailverteiler kommuniziert. Facebook ist etwas für Leute, die nicht in der Lage sind, Mailverteiler zu erstellen. Diese Aufgabe wird dann an Zuckerberg und Co delegiert und mit den eigenen persönlichen Daten bezahlt. Toller Deal.

Klar – ich bin die meiste Zeit des Tages am Rechner zugange. Ohne Facebook, ohne Online-Games. Dafür bin ich durch zahlreiche Tutorials (Lehrvideos) auf Youtube mittlerweile in der Lage, meinen eigenen kleinen Webserver mit 500 GB Webspace am Laufen zu halten. Das Erstellen von Layouts für kleine Publikationen (Gemeindebriefe) habe ich mir auf gleichem Wege erarbeitet. Jetzt bin ich dabei, mich in die Musiksoftware Linux Multi Media Studio einzuarbeiten. Stichwort für die Suche bei Youtube: LMMS. Das ist die Abkürzung und man wird dort zahlreiche Werke finden, die mit dieser Open Source Software erstellt wurden.

Bei mir zu hause ist windowsfreie Zone. Der alltagssichere Umgang mit Linux (in meinem Fall die Distribution Ubuntu) resultierte als Nebenwirkung en passant.

Worauf will ich hinaus?

Wer über einen Rechner verfügt, der nicht völlig veraltet ist, dem stehen vielfältige Produktionsmittel zur Verfügung und wer den Schritt weg von Windows hin zu einem freien, quelloffenen Betriebssystem wagt, kann nur gewinnen, weil es nichts kostet. Wer sich für Ubuntu entscheidet, kann bei Fragen kostenlose Unterstützung im Forum bei https://ubuntuusers.de/ bekommen. (Man hilft dort sicherlich auch bei anderen Linux-Distros, aber Ubuntu hat zahlenmäßig die größte Community und man kennt sich in diesem Forum damit am besten aus.)
Genau wie die Software: Ob komplexes Musikprogramm, Bild- oder Videobearbeitung, Bürosoftware – alles legal kostenlos frei verfügbar. Auch wer auf SGB2 sitzt (oder gerade der), hat somit sämtliche Möglichkeiten, sich weiter zu entwickeln.

Zeit hat den Wert, den man ihr beimisst.

So ist das auch mit dem Geld. 20 Euro kann man entweder in einer knappen Stunde in einer Kneipe los werden. Man kann sich auch ein paar Stifte und einen Block kaufen und Zeichnen lernen. Oder man holt sich etwas zu lesen, das einen weiter bringt. Oder legt den Zwanziger zur Seite. Hier kostet ein Ausweis für die Bibliothek 35 €/Jahr. Vergleich: Eine Ausgabe vom Stern kostet mittlerweile auch schon 4,50 €. Also für umgebrochen drei Euro im Monat lesen bis zum Abwinken, CDs ausleihen und rippen (für den Privatgebrauch natürlich okay!) … Es braucht also keiner in Jogginghosen mit der Bierdose in der Hand am Kiosk zu stehen, sich aus Langeweile zu besaufen und über den Staat zu meckern.

Bildung ist das Zaubermittel

Was habe ich denn gemacht, bevor es das Internet gab? Bibliotheken durchstöbert, Konzerte und Ausstellungen besucht, Tage- und nächtelang in Proberäumen und Tonstudios geprobt, gejammt, produziert, getourt, für andere Bands Licht- oder Tonregie gemacht. Heute sind meine Interessen im Real Life ähnlich vielfältig, auch wenn ich es etwas ruhiger angehen lasse.

Sinngemäß schrieb ich in meiner Antwort auf @physik0rs Beitrag, dass Bildung ab einer gewissen kritischen Masse eine Eigendynamik entwickelt, wobei Bildung und Kreativität einander bedingen. "Bildung" gleicht den Bausteinen in einer Lego-Kiste und die Kreativität erschafft aus dem Haufen Bausteine etwas mit Mehrwert: Häuser, Autos, Flugzeuge, abstrakte Kunst… Je mehr Bausteine unterschiedlicher Art man hat, um so vielfältiger sind die Möglichkeiten.

Ich hatte natürlich unverschämtes Glück. Meine Eltern und Großeltern haben meine kindliche Neugier nicht gedeckelt, sondern in die richtigen Bahnen gelenkt. Aber auch als Erwachsener kann man die Kurve kriegen, wenn man den Mut hat, selbst zu denken, bevor man dies anderen überlässt.

Zusammengefasst

Du hast Internetflatrate und einen PC? Auch wenn der Kasten 10 Jahre alt ist: Unter Linux rennt der wieder richtig flott. Für Textverarbeitung (Schriftstellerei) reicht so eine Kiste allemal. Grafik à la Photoshop (Open-Source-Pendant: GIMP) sollte auch kein Problem sein. Ob größere Anwendungen wie Audio- oder Videobearbeitung auf dem Rechner laufen, muss man halt ausprobieren. Die Installationen gehen fix und kosten kein Geld. So what!

Das Empfinden von lästiger Langeweile signalisiert uns, dass unser Gehirn "Hunger" hat. Es braucht Input und/oder Beschäftigung. Oder es braucht vielleicht auch mal den gepflegten Leerlauf. Es würde hier zu weit führen, einen universellen Rat zu vermitteln, aber wir sind schon ein Stückchen näher dran. Jeder hat kostenlosen Zugriff auf das größte Lexikon der Welt und Millionen Stunden Lehrvideos zu allen möglichen Themen. Ja, richtig: Auf Youtube gibt es nicht nur lustige Katzenvideos.

In diesem Sinne: Munter bleiben!

Gruß an alle
solid-state

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