Neulich in der Notaufnahme einer...

in Deutsch Unplugged3 years ago (edited)

Neulich in der Notaufnahme einer...*

Du: Entschuldigung?

Sie: Ja, bitte!

Du: Entschuldigung, dieser Planet da. Ich glaube, der ist hier falsch.

Sie: Der Planet? Der ist was?

Du: Der ist hier falsch. Unter meinen Füßen. Der gehört da nicht hin. Können Sie...?

Sie: Du willst die Erde verlassen? Wohin denn?

Du: Nun, ich sehe es so, dass die Erde da falsch platziert ist. Unter meinen Füßen. Daher bleibe ich, wo ich bin.

Sie: Aha. Du bleibst also, wo du bist. Ah ja. Dann ist doch alles irgendwie in Ordnung, oder?

Du: Nein, eben nicht. Der Planet gehört da nicht hin. Ich selbst bin hier richtig, dieser Planet da aber nicht.

Sie: Verstehe. Und gleich erzählst du mir was vom "Kleinen Prinzen". Von der Rose und vom Fuchs.

Du: Bitte, können Sie mir helfen? Und den Planeten da unter meinen Füßen irgendwie wegmachen?

Sie: Jetzt reicht's. Der-die-das Nächste bitte!

Du: Entschuldigung, nein, bitte nicht, ich brauche doch Hilfe. Wer kann mir denn helfen?

Sie: Na, ich denke mal: die in den weißen Kitteln.

Du: Nein-nein, ich bin nicht durchgeknallt. Ich bin sicher, dass es so ist, wie ich sage. Ich kann hier stehen und gehen, aber das fühlt sich nicht richtig an. Der Planet gehört nicht unter meine Füße. Ich kann das spüren, es sind nicht die Steine oder Gräser, es ist der Sumpf, es sind die Anderen, die wahnhaften Entscheidungsträger. Fragen Sie doch mal die Pferde oder die Katzen, die sagen Ihnen das gleiche!

Sie: Auch die Hunde? Die Kühe? Die Spatzen?

Du: Ja, vor allem die Spatzen! Die treffen sich täglich zur Lagebesprechung. Sie diskutieren aber seit zwei Jahrhunderten auf der Stelle und kommen nicht weiter: Müssen die Menschen alle weg? Oder genügt es, einfach keinen Fuß mehr auf den von ihnen versumpften Planeten zu setzen? Oder wäre doch ein kompletter Austausch des Planeten besser? Aber keiner dieser Diskussionsvorlagen kann ich persönlich mich anschließen. Bin ja ein Mensch.

Sie: Verstehe. Der Planet unter deinen Füßen soll weg. Fliegen kannst du nicht. Aber mit deinen Füßen ist angeblich alles in Ordnung, der Planet ist schuld. Verstehe.

Du: Ja, ich weiß, das klingt ... abgehoben, hätte ich fast gesagt.

Sie: Sehr witzig. Mal was Irdenes: Kennst du Walther von der Vogelweide? „Ih bin komen an die stat / Da got menniclihen trat“, hat der gereimt.

Du: Sein Palästina-Lied, davon habe ich gehört. „Aller êrst lebe ih mir werde“ oder „Nu alrest lebe ih mir werde“, neuhochdeutsch: Jetzt erst ist mein Leben lebenswert. Weil er glaubte, in Palästina dem Christus-Mythos real begegnet zu sein. Wo Gott in Menschengestalt rumlief.

Sie: Genau. So ein Vorbild wie Walther brauchst du auch. Dem du im fast wörtlichen Sinn in die Fußtapfen treten kannst. Muss ja kein religiöses Ding sein. Ein guter Kritiker der sogenannten Sumpfwelt. Einer oder eine, die im Sturm des Wahnes still steht. Und nicht jammert über den Planeten.

Du: Moment, Sie übersehen da was. Es ist doch Teil des Wahnes, einen Gott in Menschengestalt für real zu halten, es ist auch Teil des Wahnes, in seinem Sturm still stehen zu können. Darum sage ich ja: nicht ich bin es, der hier falsch ist, sondern dieser Planet da unter meinen Füßen muss weg. Muss von mir weg.

Sie: Okay, du bleibst hartnäckig. Da rufe ich wohl am besten mal das Team vom Dienst. - Karl! Schau doch mal bitte! Hier ist so'n Typ, der gehört sicher auf deine Philo-Couch. Oder soll ich Großmogul Ludwig suchen? Für eine Musiktherapie?

Du: Was jetzt? Sie wollen mich aufnehmen? Darf ich mich auf Kritischen Rationalismus freuen? Oder sprachen Sie vom Vertreter der Existenzphilosophie? Und vom Komponisten der „Eroica“? Den sein „Papa“ Haydn halb spöttisch, halb liebevoll den „Großmogul“ nannte?

[Während das Sie noch nach Karl Popper oder Karl Jaspers sucht – wir wissen es nicht –, zieht das Du bereits die Schuhe aus und geht barfüßig über die angrenzende Wiese zur Konzertmuschel, wo gerade ein Orchester seine Instrumente stimmt. Auf dem Programm an der Seitenwand stehen Wagners „Lohengrin“-Ouvertüre und Beethovens „Leonoren“-Ouvertüre (Fassung Nummer III) sowie die Ouvertüren zu „Egmont“ und „Coriolan“.]

...einer philopraktischen Rekonvaleszenzberatungsstelle






Sort:  

Super gemacht :-)) Ich glaube den 2. von Oben zu kennen , aber hieß der nicht "Lorne Green" ? und war der "Pa" bei "Bonanza" ? :-))

 3 years ago 

Ups!
Dann habe ich da wohl was verwäxelt.
"Hooosss!!" - "Ja, Pa?"
Das ist gar nicht von Wagner?

 3 years ago 

Entzückend... :-))
In die Beratungsstelle möchte ich auch mal - hoffentlich reicht 3G... ;-)

 3 years ago 

5G:

  • Grün hinter den Ohren oder
  • Gründlich bedient oder
  • Gesund genug zum Selberdenken oder
  • Großmäuler an den Hacken oder
  • Gleise in die falsche Richtung
 3 years ago 

Ah, gut, dass hier die Oder-Regel gilt - mindestens eine trifft auf mich zu. Muss nur noch meinen Nachweis suchen...

 3 years ago 

Es genügt eine eidesstattliche Verklärung.