Wo wird es enden, wenn wir so weitermachen?

in #lyrik7 years ago (edited)

I.
Wo wird es enden, wenn wir so weitermachen,
das Anrennen gegen alle Tatsachen?
Haste was, biste was, biste was, haste was,
haste nichts, biste nichts, biste nichts, haste nichts,
unerbittliche Logik. Es kann aber doch nicht sein,
dass uns als letzter Wert das Geld geblieben ist?
Das hieße wirklich dastehen mit nacktem Hintern,
gerichtet vom Schicksal, und ohne Hosen.
Es scheint so, dass sie gewonnen haben,
doch niemand gewinnt, fragt Cäsar.
Der letzte Sieger ist der Tod, fragt Stalin –
ein ungeschlagener Kämpfer, ein stummer Sänger
und das Gegenteil von rechthaberisch.
Ich kann mir meine Steuer nicht mehr leisten,
so viel habe ich nicht mehr in meinen Taschen,
ich kann den Staat nicht länger erhalten,
wie er mich nicht länger erhalten kann.
Wir sind eine Symbiose eingegangen,
vor langer Zeit, die sich nicht mehr trennen lässt,
wechselseitig Parasit und Wirt, Wirt und Parasit,
verfaulter Stamm, blühendes Blatt,
blühendes Blatt, verfaulter Stamm,
die Frage bleibt: wem gehört der Boden?

II.
Drum bleibt alles unentschieden, vage, blass,
vakuumleer. Wohin man klopft, klingt es hohl.
Stärker sollte man nicht klopfen, sonst
bricht etwas ein. Man geht auf sumpfigem Boden,
zieht ein in morsches Gebiet, die Tafeln schwanken,
und von den Verbotsschildern rieselt das Rot.
Ich wollte ins Freie treten, aber da stand schon einer.
Wir wollten doch den Abtransport über den Himmelsweg
verlangsamen, Sand im Getriebe, nicht
Öl in der Maschine sein?
Wir haben alles nur beschleunigt, propelliert
an Stellen, die wir niemals angestrebt haben. Wenn
neben mir einer umfällt, arbeite ich weiter,
zu einer größeren Erkenntnis habe ich es nicht gebracht.
Eine Erkenntnis muss man sich leisten können.
Das Bewusstsein ist teuer geworden, zu teuer
für die Sterblichen. Pass auf,
auch du bist schon im Visier, auch bei dir
liegt einer im Eck auf der Lauer. Den Tod,
gegen den du versichert bist, bekommst du
nie zu sehen, nur sein Atem, er riecht nicht faul,
ist manchmal zu spüren – wie ein Hauch.

III.
Wann hat der Horror seinen Zenit überschritten?
Wir wissen, dass wir die nächsten sind, die
an der Reihe sind, schreckerstarrt-fassungslos
mit Engelsblick, Kaninchen vor der Schlange.
Wir warten auf ein Zeichen, doch wir sehen nichts,
unsere Netzhaut ist blind von Bildern.
Wir warten auf den Ruf, doch wir hören nichts,
unsere Gehörgänge sind verstopft mit Industriewolle;
von innen dröhnt der Tinnitus, das Glockenspiel
des Terrors und des verkommenen Schlafs. Wir
sollten endlich anfangen, doch wir rätseln noch
am Testament (wir werden uns noch um die Notare
reißen). Die Sage des Seins muss im Namenlosen bleiben,
denn sie ereignet sich so, als ereignete sie sich nie.

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Sehr toller Beitrag. Das ganze Elend mal mit anderen Worten beschrieben.