Intelligente Information für die Industrie 4.0

in #neulingschallenge7 years ago (edited)

Industrie 4.0 bedeutet Vernetzung. Diese Vernetzung hat zum Ziel, dass Maschinen und Anlagen selbständig miteinander kommunizieren und sich während der Fertigungs- oder Produktionsprozesse austauschen. Während in den letzten Jahren das Hauptaugenmerk primär auf das Zusammenwachsen der IT-seitigen Kommunikation unterschiedlicher Maschinen und Systeme gelegt wurde (wie beispielsweise durch Bussysteme und Kommunikationsstandards), rückt zunehmend die Frage nach dem Informations- und Dokumentationsmanagement des komplexen Gesamtorganismus der Maschinen in den Fokus. Relevante Informationen für Wartungs- und Servicepersonal müssen zusammen-geführt und semantisch vernetzt werden sowie herstellerübergreifend über den gesamten Maschinenverbund hinweg auffindbar und verfügbar sein.

Dokumente ad infinitum

Aufgrund der zunehmenden Komplexität der zu dokumentierenden Produkte ist die Menge an Informationen enorm angewachsen. So haben die Dokumentationen in der Branche des Maschinen- und Anlagenbaus häufig einen Umfang von mehreren tausend Seiten, die nach wie vor überwiegend in Papierform oder unflexiblen Binärformaten wie PDF vorliegen.

Dadurch sehen sich Bediener, Service- und Wartungstechniker regelmäßig mit dem Problem konfrontiert, dass benötigte Informationen zwar prinzipiell erfasst und vorhanden sind, aber deren Recherche mit massiven Zeitaufwänden verbunden ist. Gerade für Anlagenbetreiber stellt die zeitnahe Auffindbarkeit der benötigten Information in der schier endlosen Zahl an einzelnen Maschinendokumentationen ein enormes Problem dar, was beispielsweise im Falle eines mehrstündigen Produktionsausfalls bereits zu außerordentlichen finanziellen Verlusten führen kann.

Kontextbasierte „Informationshäppchen“

Aus diesem Grund wurde in jüngster Zeit damit begonnen die dokumentbasierte Auslieferung von Dokumentationen aufzubrechen, mit dem Ziel dem jeweiligen Informationsrezipienten einzelne „Informationshäppchen“ in seinem individuellen Nutzungskontext bereitzustellen. Den Schlüssel dazu stellt eine feingranulare Informations-klassifizierung mit Hilfe von Metadaten dar.

Einzelne Unternehmen haben bereits damit bekommen, kleine Dokumentation-seinheiten nach unternehmensspezifischen Metadatensystematiken zu klassifizieren und über Content-Delivery-Portale (CDP) in klassifizierter, modularer Form zur Verfügung zu stellen. Dadurch können die Nutzer des CDP von umfassenden Möglichkeiten zur Informationsbereitstellung und -filterung auf Basis der zugewiesenen Metadaten wie beispielsweise Nutzerrollen, Maschinentypen, Produktlebenszyklusphasen oder Informationsarten profitieren. (1)

Industrieübergreifender Klassifikationsstandard

Diese unternehmensspezifisch entwickelten Klassifikationssystematiken stellen jedoch bislang nur unternehmenseigene Insellösungen dar, die den Austausch und die Vernetzung von modular klassifizierten Maschinen-informationen bislang verhindern. Aus diesem Grund hat eine Arbeitsgruppe der tekom (Fachverband für technische Kommunikation) im Jahr 2016 mit der Entwicklung des intelligent information Request and Delivery Standards (iiRDS) begonnen. (2) Durch die Entwicklung des Standards soll einerseits ein standardisiertes Austauschformat für Informationen und andererseits ein einheitliches Metadatenvokabular gefunden werden, das es Informationen ermöglicht, eine gemeinsame Sprache zu sprechen.

„iiRDS definiert Metadaten in der Modellierungssprache RDF Schema. Das iiRDS-Schema beschreibt […] relevante Ressourcen und ihre Beziehungen. Damit bildet das iiRDS-Schema eine einfache Ontologie.“ (3)

Dadurch soll ein Metadatenstandard geschaffen werden, durch den Informationen semantisch vernetzt und im jeweiligen Nutzungskontext angezeigt werden können. Der noch junge Standard verfolgt das langfristige Ziel, an den momentan entwickelten Industrie-4.0-Standard „RAMI 4.0“ angegliedert und zentraler Bestand-teil der intelligenten Informationsbereitstellung der zukünftigen Industrie zu werden.


Quellen
(1) Ziegler, Wolfgang / Beier, Heiko (2014): „Alles muss raus.“ In: technische kommunikation, Nr. 6, 50–55 [URL: http://i4icm.de/fileadmin/content/HSKA/02_Publikationen/ICM/tk614_ZieglerBeier_AllesMussRaus.pdf]
(2) tekom (2017): iiRDS Specification, intelligent information Request and Delivery. Standard – Request for Comments - 20 October 2017. [URL: https://iirds.tekom.de/]
(3) Parson, Ulrike (2017): iiRDS ganz konkret. [URL: https://www.parson-europe.com/de/blog/447-iirds-ganz-konkret.html]

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Super Beitrag!

Unsere Industrie ist heute eher so 0.4 beta,

weil es nicht mal möglich ist einen geschlossenen Material- und Energiekreislauf zu schaffen.
Daher muss noch viel Papier über den Bürotisch der Politik gefaltet werden, eh da was in die Gänge kommt. Ich glaube farbloses Glas ist so das einzige auf der Welt, wo man einen vollen Kreislauf im System hinbekommen könnte. Das wäre dann 1.0 für mich.

Ich wertschätze allerdings die Arbeit meiner Kollegen. Unsere Möchtegernkultur aus PR und Dummheit, hat uns aber gehörig den Kopf, gehirngewaschen. Da glauben wir selbst schon durch die Zukunft zu schweben, auf den Leichen der Steinzeitmenschen. :)

Hi @halloworld,
in der Tat. Das Papier ist teilweise wohl durch die Politik andrerseits aber eben auch gesetzlich bedingt. Und wie du schreibst kann man tatsächlich den Eindruck gewinnen, dass sich der Großteil der Entscheider durch coole Photoshop-Bilder oder Animations-Filme beispielsweise einer "digitalen Stadt" mit viel Bling-Bling und Computersounds blenden lassen.

Beispielsweise herrscht in der Realität das Problem vor, dass häufig nur eine begrenzte Anzahl an Arbeitern/Nutzern mit den Systemen interagieren. So geben für ein Maschinensystem beispielsweise nur 20 Leute ihren Input und nicht 2 Milliarden Leute, die mit einem Google-basierten System interagieren.

Und auch die Vorzeigeprojekte von IBM's Watson zum vielbesagten "Predictive Maintenance" konnten nur nach mehreren Monaten Entwicklungszeit halbwegs belastbare Ergebnisse liefern (beispielsweise die Ausfallwahrscheinlichkeit einer Zentrifuge aufgrund der Analyse der Eigenschwingfrequenz berechnen, wenn ich mich recht erinnere). Allerdings funktionierte "der Analysealgorithmus" anscheinend nur für die eine einzige Maschine (bei konstanter Luftfeuchtigkeit, Temperatur, ...) und konnte nicht ohne Weiteres auf andere Maschinen übertragen werden, da die Variablen viel zu hoch waren.

Dennoch werden aktuell zunehmend CDOs (Chief Digital Officer) von großen Unternehmen eingesetzt, die irgendetwas in Richtung "Digital" herauswürgen müssen - deren "Teams" häufig lediglich aus einer Hand voll (nicht) armer Akademiker mit ein paar Terabyte Cloudspeicher in der Tasche bestehen. Bislang jedoch ohne nennenswerten Output.

Nichtsdestotrotz denke ich, dass sich in den nächsten Jahren etwas tun wird. Vielleicht noch nicht im Bereich super intelligenter Systeme, jedoch hinsichtlich der Datenanalyse und Auswertung von Industrieparks sowie der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle im Bereich digitaler Services wie bspw. Monitoring Apps. Ich bin gespannt, wie sich die Siemens Mindsphere entwicklen wird (nennenswerte Ergebnisse erwarte ich allerdings noch nicht vor 2023).
https://www.siemens.com/global/de/home/produkte/software/mindsphere.html

Alleine was in unserem (relativ kleinen) Labor an Hand- und Logbüchern für diverse Geräte anfällt, ist beachtlich - wie muss es da erst in der Industrie aussehen!

Gut geschrieben, und sicher eine technische Herausforderung, das iiRDS. Danke!

wie muss es da erst in der Industrie aussehen!

Mit 2-3 Ringordnern an Bedienungs-/Wartungsanleitungen pro Maschine muss man selbst bei einfachen CNC-Bearbeitungsmaschinen auf jeden Fall rechnen.

Hi @meistermichi und @sco,
ja - in der Tat ist das Dokumentationsvolumen in der Industrie exorbitant. Ich war vor einem halben Jahr bei einem Fräsenhersteller, der bei sich ein intelligent(er)es Dokumentations- bzw Informationsmanagement aufbauen wollte. Pro Fräse waren das ca. 1.000 - 1.400 Seiten an reiner Servicedokumentation. Hinzu kommen ca. 800 Seiten Bedienerdoku und ca. 200 Seiten Wartungspläne etc.
Gerade für Anlagenbetreiber, die in ihrer Fertigungsstraße neben einer Fräse noch 25 andere Maschinen stehen haben, erhöht sich eben für ihn die Menge um den entsprechenden Faktor.

Auch in der Medizintechnik sieht es nicht besser aus. Die Basisdokumentation alleine für die Bedienung der Software von CT/MRT-Scannern sind ebenfalls um die 1.000 Seiten. Hinzu kommen weitere 800 Seiten für Konfiguration/Administration der Software.

Dass die Dokumentation zumeist immer noch auf Papier ausgeliefert wird, hat zumeist rechtliche Gründe (vgl. Maschinenrichtlinie 2006/42/EG).

Als Informatiker stellt sich mir da echt die Frage, wieso so etwas nicht früher konzipiert wurde. Es erscheint mir doch nur logisch, für solche Fälle eine Datenbank parat zu haben. Und IT ist ja jetzt nicht gerade ein extrem neues Feld. Hat ja auch genug mit Maschinenbau zu tun, als dass man in den meisten Maschinenbau Studiengängen zumindest ein Modul Informatik hat.

Hi @sergejkarkarov,
danke für deinen Kommentar!
Dein Einwand mit der Datenbank ist folgerichtig und macht Sinn. In der Tat haben sich bei größeren Unternehmen mittlerweile Content-Management-Systeme (CMS) zur Erstellung der Dokumentation durchgesetzt. Diese XML-basierten CMS (im deutschsprachigen Raum auch "Redaktionssysteme" genannt) unterscheiden sich von den in der IT bekannten Web-CMS (Typo3, Joomla, ...) darin, dass sie Content nicht nur layoutneutral verwalten und publizieren können, sondern bspw. auch Mechanismen zur Variantensteuerung während der Publikation besitzen.

Dies ist beispielsweise bei Dokumentationen für Maschinenserien sehr vorteilhaft, die prinziell gleich funktionieren, sich jedoch durch Zusatzmodule und technische Daten unterscheiden. So können entsprechende Informationen ("Textabschnitte" oder einfache Zahlenwerte) mit einem Maschinentyp-Metadatum versehen werden, das bei der Publikation ausgelesen und dadurch die Information entsprechend in die Maschinentypdokumentation integriert wird.

Es existieren also teilweise durchaus XML-basierte Datenbanken im Hintergrund, in denen Informationen halbwegs redundanzfrei gespeichert sind und aus denen auch umfangreiche Dokumentationen mit geringem Aufwand publiziert werden können. Viel mehr ist jedoch immer noch das Problem, dass Dokumentation nach wie vor auf Papier oder in sperrigen Binärformaten wie PDF ausgeliefert wird, die kaum Such- und Filtermöglichkeiten zulassen. "STRG + F" nach "Maschinenöl" liefert in 1.000 Seiten wahrscheinlich 300 Treffer.
Aus diesem Grund gehen die Tendenzen dahin, dass man zukünftig versuchen wird, diese feingranularen Informationen nicht in ein PDF zu backen, sondern genauso feingranular zur Verfügung zu stellen. Genau dafür sind eben semantische Metadaten notwendig, die den Verwendungszweck und die Gültigkeit einer Information definieren. Da es dafür herstellerübergreifend noch kein einheitliches Metadaten-Vokabular gibt, wird aktuell dieses iiRDS entwickelt.

Das Problem heißt Kapitalismus, oder anders gesagt. "Wie verdien wir Geld bzw. Dienst-Leistung, Material Nahrung" Da entstehen schnell wieder proprietäre Systeme der Geldschöpfung. Jeder Wettbewerb hat die Entwicklung bis heute behindert statt gefördert. Sie Bill-Gates Microsoft. Erst als das Kommunistische Linux kam war Bewegung im Spiel. :) Mal etwas überspitzt formuliert.

Danke für den sehr informativen Artikel!
Bringt es noch was, nach 7 Tagen noch zu voten?
Ich bin ja froh wenn die Politik nicht mehr nur wirtschaftlichen Prozessen, also Rechnungen folgt.
Es wird immer nur noch Kosten-Nutzen=Profit berechnet.
Es sollte mehr Spielraum für Freiheit, Individualität und vor allem Nachhaltigkeit vorhanden sein.
Und die Industrie schafft es ja noch nicht mal geschlossene Materialkreisläufe nachhaltig am Laufen zu halten..
Grüße