Propaganda statt Journalismus
Propaganda statt Journalismus
In einer Twitter-Debatte zu den Maidanmorden offenbaren ARD-Korrespondenten ihre ideologische Motivation.
Hinweis zum Rubikon-Beitrag: Der nachfolgende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Rainer Mausfeld aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt KenFM diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!
von Stefan Korinth
In einer Diskussion beim Kurznachrichten-Medium Twitter zwischen Rubikon-Autor Paul Schreyer, Maidanforscher Ivan Katchanovski und mehreren ARD-Journalisten offenbaren die öffentlich-rechtlichen Korrespondenten eine äußerst fragwürdige Berufseinstellung.Wer sich schon mal gefragt hat, warum die ARD nicht über die Maidanmorde berichtet (1), konnte nun bei Twitter ungewollte Antworten darauf lesen. Die ARD-Moskau-Korrespondenten Udo Lielischkies und Golineh Atai sowie die freie Journalistin Silvia Stöber, die für den Faktenfinder der Tagesschau schreibt, lieferten sich dort eine entlarvende Debatte mit Rubikon-Autor Paul Schreyer und dem ukrainisch-kanadischen Politikwissenschaftler Ivan Katchanovski, der das Maidan-Massaker in einer materialreichen Studie untersucht hat.Vorsicht: Wer noch an ein journalistisches Berufsethos und Aufklärungsinteresse dieser ARD-Leute geglaubt hat, wird erschrecken, wie dogmatisch, realitätsfern und uneinsichtig die Reporter ihre Sicht vertreten. Bitte lesen Sie zuerst selbst:
- Debatte mit Atai, Schreyer und Katchanovski (Englisch)
- Debatte mit Schreyer, Stöber und Lielischkies (Deutsch)
Vorwissen: Fragwürdige Ermittlungen
Es gibt sehr viel zu hinterfragen an den Ermittlungen der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft (GPU). Diese weigert sich seit vier Jahren offiziell anzuerkennen, dass während des Massakers am 20. Februar 2014 in Kiew auch aus Gebäuden geschossen wurde, die unter Kontrolle des Maidan standen. Und das obwohl überwältigende Beweise dafür existieren. Es gibt Geständnisse, Filmaufnahmen, Zeugenaussagen, ballistisch-forensische Untersuchungen und vieles mehr.So hat etwa der Maidankämpfer Ivan Bubentschik mehrmals öffentlich eingeräumt, an diesem 20. Februar zwei Polizisten mit einer Kalaschnikow erschossen zu haben. Mittlerweile fünf georgische Staatsbürger haben ausgesagt, dass sie und noch weitere Schützenteams mit Waffen ausgerüstet und angestiftet wurden, um an diesem Tag auf Polizisten und Demonstranten zu feuern.Ein ZDF-Kamerateam filmte, wie Maidankämpfer aus dem ZDF-Hotelzimmer in Richtung der Todeszone feuerten. Das Team der BBC filmte, wie es aus dem Hotel Ukraina beschossen wurde. Der britische Sender interviewte auch Augenzeugen und einen weiteren, allerdings anonymen, Schützen.Dutzende Augenzeugen haben bereits vor Gericht und/oder in anderer Form öffentlich ausgesagt, vom Hotel Ukraina oder von weiteren Maidangebäuden aus beschossen worden zu sein oder dort Schützen gesehen zu haben. Viele dieser Zeugen sind selbst Maidankämpfer, die von den Schützen verwundet wurden. Die Schusswunden der meisten Todesopfer deuten auf erhöhte Schützenpositionen seitlich oder hinter ihnen – während die angeklagten Polizisten vor den Maidankämpfern an einer Barrikade postiert waren.Das sind nur einige der Fakten zu dem Massaker, die in Ivan Katchanovskis Studie und in anderen Quellen aufgelistet sind und nachgeprüft werden können. Dass es Schützen im Hotel Ukraina gab, ist eine Tatsache, die eindeutig belegt wurde. Wer jetzt meint, dies wäre ein berichtenswerter Umstand für die ARD – denn dieser Fakt könnte immerhin die in der Ukraine und im Westen vorherrschende Theorie von Janukowitsch und seiner mordlüsternen Spezialtruppe als Todesschützen umwerfen – der hat die Rechnung ohne Golineh Atai gemacht.
Schützen im Hotel? Eine „Obsession“ aus Moskau!
„This „sniper from Hotel Ukraina“ thing is a Moscow idée fixe and obsession“ – zu Deutsch: „Diese ‚Scharfschützen im Hotel Ukraina‘-Sache ist eine fixe Idee und Zwangsvorstellung aus Moskau“, schrieb Atai nun bei Twitter. Diese öffentlich vorgetragene Realitätsverweigerung der preisgekrönten Korrespondentin macht erstmal sprachlos. Jeder, der sich mit dem Fall näher befasst hat, weiß, es wäre kaum absurder, sich um 20 Uhr ins Tagesschau-Studio zu stellen und affirmativ in die Kamera zu rufen: „Die Erde ist eine Scheibe, basta!“Man muss sich das einmal klarmachen: Es geht hier nicht darum, wer diese Schützen waren, wer sie beauftragt hat oder auf wen sie schossen. Atai weigert sich bereits anzuerkennen, dass es überhaupt Schützen im Hotel gab. Dabei ist es nicht entscheidend, ob die Schützen Auftragskiller mit professionellen Scharfschützengewehren oder Barrikadenkämpfer mit Kalaschnikows und Jagdgewehren waren.Ohne sich große Mühe zu machen, bügelt Atai im folgenden Tweet Ivan Katchanovski und seine Studie ab. Er sei nur ein Professor in Anführungsstrichen und auch noch einer aus Kanada. Diese Hochnäsigkeit ist sachlich nicht nachvollziehbar. Zum journalistischen Berufsethos, das Unparteilichkeit und Aufklärungsanspruch mit einschließt, passt diese grundlos ablehnende Haltung ebenfalls nicht. Normalerweise wäre es ihre Pflicht, sich mit der Studie auseinanderzusetzen.
Golineh Atais Adleraugen
Daraufhin schaltete sich Ivan Katchanovski in die Debatte ein, und kommentierte, diese Zurückweisung einer wissenschaftlichen Arbeit sei bemerkenswert. Zudem fragt er Atai, ob sie seine Studie überhaupt gelesen und deren Videoanhänge angeschaut habe. Eine Antwort erhielt er darauf nicht.Weiter schreibt Atai: Statt Katchanovskis Erkenntnisse zu beachten, sei sie selbst nach Kiew gefahren und habe dort mit dem GPU-Sonderermittler Gorbatiuk gesprochen und tagelang in der Gerichtsverhandlung verbracht – es ist unbekannt, in welcher Dokumentation sie diese Recherchen verarbeitet hat. Und sie erläutert ihre Überzeugung weiter: „Ich glaube, meine eigenen Augen belügen mich nicht. Ich war direkte Zeugin.“Was sie konkret gesehen hat, wo sie während des Massakers überhaupt war, schreibt sie nicht. Doch das ist auch gar nicht entscheidend. Selbst wenn Atai todesmutig das ganze Blutbad stundenlang am offenen Fenster aufmerksam verfolgt haben sollte – sie konnte nicht gleichzeitig sehen, was in allen Zimmern des Hotels vonstattenging. Erst recht konnte sie von ihrer Zeugenposition nicht alle entsprechenden Dächer und Fenster im Kiewer Stadtzentrum beobachten. Schon gar nicht konnten ihre Augen abgefeuerte Kugeln in der Luft verfolgen und die Schussbahn berechnen. Und wer die Schützen beauftragt hat, kann man vom Hotelfenster aus am allerwenigsten beurteilen.ZDF-Korrespondentin Britta Hilpert sagte mir in einem Telefoninterview, dass sie während der Schießerei die Vorhänge im Hotelzimmer zugezogen hatte, aus Angst selbst erschossen zu werden. Ein nachvollziehbares Verhalten. Nur ab und zu habe sie einen kurzen Blick hinausgewagt und die Maidankämpfer hinter Bäumen kauernd gesehen. Hilpert gab zu, dass man mit diesem Wissen nicht beurteilen kann, wer unten auf der Straße von wem erschossen wurde. Golineh Atai meint offenbar, alles Relevante gesehen zu haben. Deshalb haben vier Jahre akribischer Materialsammlung von Katchanovski in Atais Adleraugen keinen Wert.
Atai soll nicht urteilen, sondern berichten
Doch was soll das eigentlich? Ihre journalistische Aufgabe ist es nicht, sich als große Bescheidwisserin aufzuspielen, sondern dem deutschen Fernsehpublikum, über alle relevanten Entwicklungen für die Aufklärung des Maidan-Massakers zu berichten und diese kritisch zu analysieren.
- Dazu hätte beispielsweise schon am Tag des Massakers selbst gehört, über die Schützen im ZDF-Zimmer zu berichten. Das tat Atai aber genauso wenig wie ihre Kollegen von ARD und ZDF und das obwohl sie damals in unzähligen Live-Schalten die Möglichkeit hatte. Klar ist, solche Informationen hätten das Narrativ von den mordenden Polizisten vom ersten Tag an stark in Frage gestellt (2).
- Dazu gehört auch über Katchanovskis Studie zu berichten, die Atai aus ungenannten Gründen ablehnt. So verbohrt ist man nicht mal in der Ukraine, wo der Universitätslehrer aus Ottawa in TV-Nachrichten und in Diskussionssendungen befragt wird.
- Dazu gehören aber auch Berichte und kritische Recherchen zu den Aussagen der fünf Georgier die behaupten, von hochrangigen ukrainischen und georgischen Maidanaktivisten zum Massenmord angestiftet und ausgerüstet worden zu sein.
Während freie Journalisten bei Alternativmedien nur von den Ressourcen träumen können, die ARD- und ZDF-Journalisten potenziell für Recherchen zu dem Massaker zur Verfügung stehen, bleiben Atai und ihre Kollegen untätig. Weil? Ja, weil jede weitere Beschäftigung damit die „Obsession Moskaus“ bedienen könnte.
Golineh Atai tweeted @ 21 Mar 2018 - 17:24 UTC
Silvia Stoeber tweeted @ 19 Mar 2018 - 16:07 UTC
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