7 STEEMIANER UND EIN THEMA: Tag 7. Das innere Kind → Wie komme ich mit ihm ins Gespräch?

in #deutsch7 years ago

Hallo liebe Steemians, mit meinem heutigen Beitrag darf ich den ersten Durchlauf des von @asperger-kids und mir ins Leben gerufenen Gemeinschaftsprojektes „7 Steemianer und ein Thema“ abschließen.

In dieser Woche drehte sich alles um das innere Kind. Die anderen Beiträge findet ihr hier:
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Die Innere-Kind-Arbeit ist eine tolle Möglichkeit mit sich selbst in Kontakt zu kommen, eigene Antriebe zu erforschen, Erklärungen für bestimmte Verhaltensweisen zu finden oder chaotische Gefühlszustände zu ordnen. Ich glaube, unsere Welt wäre ein besserer Ort, wenn mehr Menschen diese aktiv betrieben. Deshalb freue ich mich über das große Interesse, dass ihr dem Thema mit euren Kommentaren und Upvotes entgegengebracht habt! :-)

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Nachdem @asmr-austria bereits eine Möglichkeit beschrieb, die es ermöglicht, mit dem inneren Kind in Kontakt zu treten, möchte ich euch heute eine Methode vorstellen, mit deren Hilfe ihr mit eurem inneren Kind ins Gespräch kommen könnt. Ich weiß nicht, ob es dafür in Fachkreisen einen Namen gibt – ich selbst habe die Methode im Laufe einer Psychotherapie erlernt. Ich nenne sie einfach mal so:

Analoges Instant-Messaging mit dem innerem Kind

Es handelt sich nämlich um einen handschriftlichen Dialog zwischen deinem erwachsenen Ich und deinem inneren Kind.

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Alles was du dazu benötigst, ist ein Stift, ein Blatt Papier, Zeit, Ruhe und die Bereitschaft dich auf eine neue Erfahrung einzulassen, die durchaus eine Herausforderung für dein Gehirn darstellen kann - du benötigst nämlich beide Hände zum Schreiben: Deine übliche Schreibhand schreibt den Part deines erwachsenen Ichs; die andere Hand schreibt den Part deines inneren Kindes nieder. Dieses Vorgehen hat mehrere Gründe:

  1. Es werden beide Gehirnhälften angeregt und angesprochen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Dialog rational und emotional zugleich ablaufen kann. Oder auch verbal-analytisch und emotional-wahrnehmungsorientiert – so könnte man grob vereinfacht die Funktionsweisen unserer Gehirnhälften beschreiben.
  2. Die Benutzung der Nichtschreibhand für den Part des inneren Kindes aktiviert die emotional-wahrnehmungsorientierte Gehirnhälfte. Tief verborgene Gefühle oder Botschaften aus dem Unterbewusstsein können nun leichter an die Oberfläche gelangen – sie werden quasi ein Stück weit am rationalen Alltagsverstand vorbeigeschmuggelt, der oft wertend und kritisierend eingreift und solche Prozesse verhindert.
  3. Die Benutzung der Schreibhand wiederum aktiviert die verbal-analytisch arbeitende Gehirnhälfte. Auf diese Weise bleibt das erwachsene Ich in der Lage den Überblick zu behalten, angemessen auf die möglicherweise überraschenden Belange des inneren Kindes zu reagieren, ihm Halt und Sicherheit zu geben.

Los geht’s! Wie eröffnest du das Gespräch?

Stell dir zunächst dein inneres Kind vor: Wie alt ist es, wie sieht es aus, was tut es? Nun begrüße es schriftlich. Schreibe dabei so, wie du mit einem realen Kind sprechen würdest. Stell dir vor, du hockst auf Augenhöhe vor ihm und sprichst ein Thema an, welches dich beschäftigt oder von dem du annimmst, dass dein inneres Kind dazu etwas zu sagen haben könnte. Stelle Fragen: „Weißt du noch, als dies und jenes passiert ist? Was hast du da gefühlt? Was war da los?“

Dann nimm den Stift in deine Nichtschreibhand und schreibe die Antwort nieder. Das erfordert ein wenig Übung – am Anfang ist es vielleicht die reinste Krakelei, aber mit der Zeit wird es leichter. Geh intuitiv vor und lass dich darauf ein, ohne Wertung alles aufzuschreiben, was kommt – selbst wenn es dir auf den ersten Blick sinnlos erscheinen mag. Mit der Zeit bekommst du ein Gespür dafür, wie die Botschaft lauten soll. (Ich schreibe bisweilen einen Satz, ohne dass ich ihn gedanklich bewusst erfasse. Anschließend lese ich ihn und bin erstaunt, was da aus mir rauskommt. Teilweise sind das Dinge, die ich zuvor noch nie gedacht habe bzw. die ich mir zuvor nie getraut habe zu denken oder auszuformulieren.)

Anschließend antwortet dein erwachsenes Ich mit der Schreibhand auf die Botschaften des inneren Kindes. Wenn nötig, stell zunächst Fragen, um die Botschaften besser zu verstehen. Lass darauf wiederum dein inneres Kind mit der Nichtschreibhand antworten - auf diese Weise entspinnt sich nun ein Dialog. Hör deinem inneren Kind gut zu, nimm es ernst, bewerte und verurteile seine Botschaften nicht, nimm Anteil, zeige Verständnis und lege ihm schlussendlich die Sicht des erwachsenen Ichs auf die geschilderte Situation dar, biete alternative Erklärungen für bestimmte Geschehnisse an, spende Trost – ganz so, wie ein weiser, lebenserfahrener Rat- und Haltgeber es tun würde.

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Damit das ganze nicht so abstrakt bleibt, gebe ich euch hier mal ein Beispiel, was sich mit dieser Methode bearbeiten lässt. Ich habe beispielsweise lange nicht verstanden, warum ich massive Angst davor hatte, Menschen zu vertrauen. Mit sämtlichen kopfbasierten Erklärungen bin ich nicht zur Wurzel dieser Angst vorgedrungen. Rationale Herleitungen gaben mir zwar einen gewissen Halt, konnten meiner gefühlt irrationalen Angst jedoch nichts entgegensetzen. Im Laufe unzähliger Dialoge umschiffte ich dieses Thema mit meinem inneren Kind. Dieses war störrisch und verschlossen und rückte lange nicht mit der Sprache heraus. Immer wieder fragte ich: „Was denkst du denn passiert, wenn dich jemand enttäuscht?“ Irgendwann stand dann auf dem Papier: „Das überlebe ich nicht.“ Erst als ich das schwarz auf weiß vor mir sah, begann ich zu begreifen, dass es sich bei der Angst um etwas Existentielles handelte. Dem war mit Argumenten natürlich nicht beizukommen. Was es brauchte, war Halt. Das Versprechen, dass ich als Erwachsene im Sinne meines inneren Kindes handeln würde, es beschützen und nie im Stich lassen würde. Wenn alle Welt mich verletzen würde, wäre da immer noch das erwachsene Ich, dass sich nie von seinem inneren Kindanteil abwenden würde. All dies konnte ich meinem inneren Kind nun mitteilen. Es aufzuschreiben, hat dabei eine ganz besondere Qualität - handschriftlich Verfasstes bleibt uns im Gedächtnis. Es wird materiell und damit greifbar. Selbst das schwammigste Chaos kann so mit etwas Geduld in Ordnung gebracht werden – dann kehrt Ruhe ein im Geist.

Ihr müsst übrigens nicht zwingend einen Dialog mit eurem inneren Kind führen. Es gibt noch viele andere Teilaspekte eurer Persönlichkeit, die sich über Zuwendung freuen: beispielsweise der innere Jugendliche, der innere Kritiker, der innere Trotzkopf. Gerade wenn es um Entscheidungsfindung geht, können auch Gespräche mit Figuren wie dem inneren Engel und dem inneren Teufel hilfreich sein.

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Und nicht jedes Gespräch muss zwingend traumatische oder problembehaftete Gebiete abklopfen. Es macht auch Spaß mit einem Anteil einfach einmal Smalltalk zu halten oder herumzualbern. Dabei lernt man sich spielerisch selbst viel besser kennen und mit der Zeit wird es immer leichter die Teilaspekte der eigenen Persönlichkeit auch im Alltag schnell zu identifizieren und anzusprechen – jeder Aspekt hat seine ganz eigene Sprache und wird einem schnell vertraut. Für einige hört sich das vielleicht beängstigend und nach gespaltener Persönlichkeit an, aber ganz im Gegenteil integriert man auf diese Weise all seine Persönlichkeitsanteile und kann erst so – insofern man es nicht schon ist – ein großes Ganzes werden.

Ich danke euch fürs Lesen und hoffe, ihr hattet Spaß an dieser Reihe! Wir bearbeiten auf diese Weise in Zukunft hoffentlich alle gemeinsam noch viele weitere spannende Themen.

@claudiapeters

Sort:  

Oh von dieser Übung hab ich schon mal gehört und fand sie damals schon so toll! Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das gut funktioniert. Ich muss mir das nur mal merken, und dann im richtigen Moment auch mal machen :)

Das Bild mit den zwei Händen find ich auch fantastisch - das spricht wirklich alles aus.

Toller Beitrag - zu den anderen werde ich mich auch noch durchlicken!

Danke für deinen Kommentar!

Das mit dem MACHEN ist echt so ne Sache. Ich muss mich manchmal auch durchringen bestimmte Methoden zur Selbstfindung oder Klärung usw... anzuwenden. Ist ein bißchen wie beim Joggen. Die ersten Male kostet es ganz schön Überwindung sich aufzuraffen und es durchzuziehen, hinterher ist man zufrieden, weil man es gemacht hat und irgendwann fehlt es einem, wenn man mal ne Weile nicht gelaufen ist. ;-)

"Weißt du noch, wie traurig du damals warst, als die einzige 3 in deinem Grundschulzeugnis deine Handschrift bewertete?"...
Entschuldige, das fiel mir spontan ein und ist jetzt nicht ganz ernst zu nehmen.
Ich finde deinen Artikel großartig und werde die Methode, mit beiden Händen in den schriftlichen Dialog mit dem inneren Kind zu gehen, bestimmt mal ausprobieren.
Dank für Artikel und Anregung, Dank allen Autoren für die befruchtende Auseinandersetzung mit diesem spannenden Thema! LG

:-) Nicht traurig sein!

Ich hab auch ein so ein Thema mit der Handschrift. Ich bin nämlich eine umerzogene Linkshänderin. Das hat mir zunächst einige Probleme beschert. Aber was solls, heute schreib ich fließend mit beiden Händen. Beim Malen, Streichen, Schminken, Frisieren, Putzen, Tischtennisspielen etc... bringt Beidhändigkeit echte Vorteile mit sich. Alles hat etwas Gutes! ;-)

Ich kenne die schriftliche Form und den inneren Dialog mit dem inneren Kind aus eigener Erfahrung (rechts/links Schreiben war mir bisher auch unbekannt) und es kann in der Tat sehr heilsam sein.

Mensch hier kommen einfach so tolle Beiträge zu dem Thema zusammen, ich bin richtig begeistert von dem Projekt, klasse!

Diese Idee werde ich unbedingt mal aufnehmen und testen. Bin super gespannt was dabei heraus kommt.

Diese Methode mit dem Aufschreiben und Benutzen beider Hände höre ich zum ersten Mal. Sehr interessant! Danke, das werde ich gleich auch mal in mein Repertoire aufnehmen. Vielleicht auch erst einmal selbst ausprobieren.

Sag mal, das gemalte Bild unten: ist das von dir oder von jemand anders? Ich finde es sehr schön und hätte gerne eine Quelle.

Die Arbeit mit den inneren Anteilen heißt übrigens "Das innere Team" nach Schulz von Thun im offiziellen systemischen Jargon (hatte ich kurz bei @asperger-kids erwähnt als Kommentar, gibt aber sicher noch andere, die das in der Form angewandt haben und noch weiter zurückreichen)

Immer wieder fragte ich: „Was denkst du denn passiert, wenn dich jemand enttäuscht?“ Irgendwann stand dann auf dem Papier: „Das überlebe ich nicht.“ Erst als ich das schwarz auf weiß vor mir sah, begann ich zu begreifen, dass es sich bei der Angst um etwas Existentielles handelte

Ah, das ist sehr gut! Schön, dass du so ein Beispiel gibst. Das macht es plastisch und vorstellbar- Danke dafür!

Liebe Grüße von Erika

Liebe Erika, ich freue mich, dass dir mein Beitrag gefallen hat. Danke auch für den Hinweis auf Schulz von Thun. Ich hatte den Namen zwar schon einmal gehört, aber dass er der Begründer des "Inneren Teams" ist, war mir nicht geläufig.

Das untere Bild habe ich von Pixabay. Wenn du in die Suche "Frau Engel Teufel" eingibst, müsstest du es recht weit oben angezeigt bekommen. (Klappt es nicht, sag Bescheid, dann schick ich dir den Link im Chat.) Ich hatte keine Quellenangabe gemacht, weil es ohne Bildnachweis verwendet werden darf.

Diese Technik mit dem beidhändigen schreiben kannte ich noch nicht und werde es demnächst mal an mir selber testen. Super Artikel und man lernt nie aus :-)

Danke dir! Wenn du magst und dran denkst, kannst du mir ja hier mal kurz berichten, wie es lief!

werde ich machen liebe Claudia :-)

Wow, danke für diesem Beitrag. Das muss ich unbedingt mal ausprobieren. Habe nur das Gefühl, dass ich mich anfangs ausschließlich auf‘s Schreiben mit links konzentrieren müsste. Sich selbst besser kennenlernen, das möchte ich unbedingt um ein realeres Selbstbild von mir zu bekommen, mehr sowie andere mich sehen und nicht das verfälsche Ideal, welches man selbst vor Augen hat.

Beim Schreiben mit links kommt es auch gar nicht auf die absolute Schönschrift an. Hauptsache du erkennst einigermaßen, was du hingeschrieben hast. ;-)

Interessant, dass du dein Selbstbild als verfälschtes Ideal empfindest. Denkst du also, das du in der Fremdwahrnehmung anderer Menschen schlechter wegkommst? Meiner Erfahrung nach (meine eigene und was ich so aus Gesprächen mit Freunden mitgenommen habe) ist es bei vielen Dingen eher andersherum: Das Fremdbild fällt positiver aus als das Selbstbild.

Naja in manchen Dingen habe ich schon oft das Gefühl, dass ich zu oft von mir überzeugt bin dieses oder jenes besser zu können oder zu verstehen als andere. Aber ich zweifle dann auch gelegentlich und frage mich "Können das nicht viele andere mindestens genau so gut oder sogar besser? Hast du deinen Skill vielleicht auf ein zu hohes Podest gestellt?".

Ah ok, so bezogen auf Skills kann ich das Gefühl nachvollziehen. Niemand putzt die Küche so gründlich wie ich.^^ Ich hatte an ganz andere Bereiche gedacht, als ich deinen ersten Kommentar gelesen hatte.

Liebe Claudia! Wooowww danke für deinen Artikel!! Ich kenne so viele diverse Methoden und Tools, aber von dieser habe ich noch nie gehört- muss ich unbedingt mal bald ausprobieren. Ist ja so gesehen auch intuitives Schreiben. Super Danke!!! Muss ich auch gleich resteemen!!! Schönen Abend

Liebe @love-your-wild, vielen Dank für deinen Kommentar und das Resteemen. Viel Spaß beim Ausprobieren. Wenn du magst, kannst du uns hier ja kurz von deinen Erfahrungen berichten. :-)

Das mach ich danke!!! - aber nur wenns nicht zuuuu persönlich ist ;-) hihi- muss meine kleine Yasmin ja auch schützen wie meinen Sohn;-) hihi

Auf jeden Fall! Ich meinte auch gar nicht so persönliche Dinge aus dem Dialog. Sondern eher, wie es dir dabei ging, ob du Zugang bekommen hast zu deiner kleinen Yasmin oder ob es dir gelungen ist, mit deiner Nichtschreibhand zu schreiben... :-)

So in der Art mit links und rechts kannte ich es nicht. Wir hatten in meiner früheren Klinik IRRT nach Smucker bzw. Schmucker im Angebot. Das war dann quasi eine Video-Technik im Gehirn zum Dialog mit dem inneren Kind. Aber so finde ich es mindestens genauso gut. Ich arbeite auch mit rechts- links Aktivierung, aber eben auch eher über innere Bilder

Über innere Bilder lief in meiner Therapie auch viel und ich fand das auch sehr gewinnbringend. Meiner Meinung nach, lässt sich das aber allein (also ohne Anleitung durch Therapeuten) sehr schwer umsetzen. Oder erlernen deine Patienten die Methode auch so, dass sie damit später allein weiterarbeiten können?

Sehr schön geschrieben ist mir einen Upvote wert. Sehr aufwändig gestaltet. Im Unteren Bereich hätte ich mir ein bisschen mehr Absätze gewünscht.

Danke dir Florian. :-)
Ja, die Absätze. Ich mach die immer sinngemäß und manches lässt sich schwer teilen und dann steht da plötzlich ein großer Block. Danke für den Hinweis!