Über das Herz der italienischen Küche oder Spaghetti al pomodoro (Teil 1)

in Deutsch Unplugged3 years ago
Lieber Leser, fühle dich eingeladen zu einer Reise zu den Wurzeln eines weltweiten Mythos. Dich erwartet eine Reise ins Unbekannte, mit dem Ziel das Herz der italienischen Küche zu ergründen. Was kommt einem am ehesten in den Sinn, wenn spontan an Italien gedacht wird? Mit großer Wahrscheinlichkeit denken viele an die einfache und doch so leckere Mahlzeit Spaghetti al pomodoro. Nichts anderes wird ihnen nahekommen können, wenn es um einen Kern oder das Herz der italienischen Küche geht.

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Source Pixabay

Um was genau soll es sich in diesem Bericht drehen? So viel sei an dieser Stelle schon verraten. Es wird keine Abhandlung über das Rezept der Spaghetti mit Tomaten werden. Es soll auch keine akribische Suche nach dem ersten dokumentierten Zeitpunkt dieser Kombination erfolgen. Vielmehr wird ein offener Blick auf die Geschichte des Gerichts gelegt. Es war oben schon von Wurzeln die Rede. Die Wurzeln dieses Gerichts wollen im Wandel der Zeit erkundet werden. Umweltbedingungen, Techniken, Vorgehensweisen, Zutaten – all dies sind Aspekte, die im weiteren Verlauf, in einem historischen Abriss, mal mehr, mal weniger miteinander verwoben, durch die Zeit hindurch, betrachtet werden, um ein Bild vom Herzen der italienischen Küche entstehen lassen zu können, so wie es heute ist.

Aus der unendlichen Vielfalt der Rezepte für Spaghetti al pomodoro wird für diesen Text sozusagen ein Standardrezept herausgeschält, das sich aus den selbstverständlichen Zutaten Spaghetti und Tomatensauce zusammensetzt. Ergänzt wird es mit geriebenem Parmesan – Nudel ohne Parmesan sind ja undenkbar. Olivenöl darf natürlich auch nicht fehlen, genauso wenig wie Zwiebeln oder Knoblauch. Abgeschlossen wird es mit Basilikum und einer Prise Peperoncino. Salz.

Die Spaghetti - eine Geschichte

Vielleicht kennt der ein oder andere schon eine Geschichte über die Entdeckung der Spaghetti. Besonders bemerkenswert ist die, die vom Matrosen Spaghetti handelt.

Er soll zusammen mit Marco Polo in Asien gewesen sein. Auf der Suche nach Wasser geht der Matrose von Bord und trifft eine Bäuerin, die in einer Schüssel einen zähflüssigen Teig anrührt. Diesen will sie im heiß-trockenen Klima ihrer Heimat aushärten lassen. Bei diesem Anblick hat der Matrose eine zündende Idee: haltbare Trockenlebensmittel könnten auf langen Seereisen nützlich sein. Daraufhin lässt er sich etwas Teig geben, kehrt auf sein Schiff zurück und bearbeitet dort den Teig, indem er ihn zu langen Schnüren zieht. Und da es sich um einen Matrosen handelte, gab es auch nichts naheliegenderes, als diese Spaghetti in kochendem Meerwasser zu kochen.
Voila, die Spaghetti war geboren.

Bei dieser Geschichte handelt es sich um eine ganz dreiste Erfindung, die nur einen ganz kleinen wahren Kern enthält. Marco Polo war bekanntermaßen in Asien und hat dort auch Nudeln gesehen. Doch er hat sie nicht als neues Produkt in die Heimat zurückgebracht, da die Nudel zu diesem Zeitpunkt schon lange bekannt war. Der Weg führt weiter in die Vergangenheit, auf den Fruchbaren Halbmond, wo vor 10000 Jahren die Agrarrevolution ihren Ausgang nahm und der Anbau von Getreide eine gewichtige Rolle spielte.

Von Getreide und Brot

Mit dem Anbau von Getreide etablierte sich die Herstellung von Brot. Als Variante des Brotes entstand die Nudel, die flach und nicht vergoren war. Es lassen sich Zeugnisse finden, die dünnen, mit dem Nudelholz gerollten oder mit den Händen ausgezogenen Teig bezeichnen, genauso wie ein persisches Wort aus dem 3.-7. Jahrhundert, das in Streifen geschnittene Nudel bezeichnete. In die griechische und römische Kultur gelangten frische, ausgerollte Nudeln mit dem Namen ‚lagana‘. Die Ähnlichkeit zum Wort Lasagne ist unbestreitbar, doch ist zur Zeit der Römer die Abgrenzung nicht gegeben, sodass auch hier von einer Bezeichnung für ungesäuerte Brotsorten ausgegangen werden kann. Die Problematik einer Einordnung der Nudel zu dieser Zeit besteht darin, dass nur zwei grundlegende Typologien der Nutzung von Getreidesorten unterscheiden werden. Einerseits gibt es das Modell der Backwaren, also Brote, die im Ofen gegart wurden. Andererseits existierte das Modell der Polenta und des Eintopfes, die in der feuchten Hitze eines Flüssigkeit gegart wurden. Vor diesem Hintergrund konnte die Nudel, wie sie heute bekannt ist, weder genau der einen, noch der anderen Seite zugeordnet werden. Häufig wurde die Nudel im Ofen ohne Flüssigkeit gegart.

Die Rolle Siziliens

Bisher ist eher von frischen, als von getrockneten Nudel die Rede gewesen. Lange, dünne Teigstreifen trocknen zu lassen, war gerade im vorderen Orient durchaus bekannt. Eine wichtige Rolle spielen die Araber, die Persien eroberten und sich weiter im Mittelmeerraum ausbreiteten, sowie mit ihnen die Kenntnis über getrocknete Nudeln.

Sizilien stand mehrere Jahrhunderte unter der Herrschaft der Araber, sodass genug Zeit war, dass die Kenntnisse über die Nudeln auch in Sizilien Wurzeln schlagen konnten. Neben diesem Aspekt ist zusätzlich von Bedeutung, dass Sizilien sowohl in der griechischen, als auch zur römischen Zeit zur Kornkammer des Reiches gemacht wurde. Die klimatischen, als auch die geologischen Bedingungen waren für den Getreideanbau gut geeignet. Zusätzlich sind die Handelswege und Handelsbeziehungen von Sizilien in den Mittelmeerraum wichtig für die Entstehung einer Nudeltradition auf der Insel. Werden alle diese Aspekte zusammen genommen, so erstaunt es kaum, dass sich auf Sizilien die erste Nudelindustrie entwickeln konnte. Das Zusammenspiel der oben skizzierten Faktoren begünstigte die Entstehung der Nudelindustrie. Allerdings ist der Weg zur alles umfassenden Spaghetti noch weit, auch wenn das italienische Festland industriell gefertigte Nudeln aus Sizilien importierte.

Techniken machen Namen

In den ersten italienischen Kochbüchern aus dem 14. und 15. Jahrhundert wird der getrockneten, industriell hergestellten Nudel keine Beachtung geschenkt. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass getrocknete Lebensmittel als ‚ärmliche Speisen‘ galten und diese eben nicht in Kochbüchern aufgeführt wurden. Die frische Nudel war jedoch schon populär, da sie aus dem römischen Erbe fortgeführt wurde.

Eine Überschneidung zwischen frischer und getrockneter Pasta liegt in einer Zubereitungstechnik. Frische Nudeln werden zu dünnen Rollen geformt, die dann mit einem Draht durchstochen und ausgehöhlt wurden. Diese Nudel wurden ‚macharoni siciliani‘ genannt. Der Draht sollte so dünn wie ein Bindfaden (spagho) sein. Hier ist zum ersten Mal der Begriff spagho im kulinarischen Kontext verwendet worden. Allerdings dauert die Geburt der Spaghetti noch an. Die Bezeichnung für die langen Nudel blieb für lange Zeit macharoni, der sich im Laufe der Geschichte auch für getrocknete Nudel einbürgerte, da sie auf ähnliche Weise hergestellt werden können und das Aushöhlen den Trocknungsprozess beschleunigt.

An dieser Stelle werde ich meine Ausführungen unterbrechen, damit der Artikel nicht viel zu lang wird. Die Fortsetzung wird sich mit dem Aufkommen der Pasta, sowie derer Zubereitung beschäftigen und sich darüber hinaus ebenfalls mit den anderen Zutaten beschäftigen.

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 3 years ago 

Hach, Nudeln :-))
Die sind so vielfältig in der Küche verwendbar, wie kein anderes Produkt. Wer auch immer sie erfunden hat, müsste noch heute dafür gehuldigt werden. :-)

Wohl gesprochen. Das Zurückverfolgen ihrer Wurzeln stellt für mich eine Art der Huldigung dar, selbst wenn niemand explizit als Urheber feststellbar ist.

Ich bin immer wieder baff darüber, welche tollen Kenntnisse hier so herrschen. Glückwunsch. Cooler Artikel.

Ich bin, wie die Jungfrau zum Kinde, zu diesem Wissen gekommen, als mir eine literarische Quelle zu diesem Thema geschenkt wurde. Ich finde es unglaublich spannend zu erfahren, wie sich das Gericht entwickelt und welche Wurzeln es hat.
Darüber hinaus ist es ebenso unglaublich, dass es tatsächlich seriöse Wissenschaftler gibt, seien es Historiker oder Anthropologen, die sich mit dieser Materie auseinandersetzen.

:-) Stimmt. Essen ist eben auch Kultur!

Genau. Du bist, was du isst, wie es so schön heißt.

 3 years ago 

Wun.Der.Bar! Ich mag es total, solchen Sachen beim Essen auf den Grund zu gehen. Auf die Fortsetzung bin ich gespannt ;-))

Was ich zu diesem Teil anfügen möchte: Wer hat denn nun lt. Deinem Buch die Nudeln "erfunden"? Ich habe als ältesten Beleg ca. 4000 Jahre alte Trockennudeln aus Hirse in Lajia im Nordwesten Chinas gefunden...

Den einen Ursprung gibt es nicht. So hat sich wohl zum einen in China die Nudel entwickelt, wobei ich zu deren Wurzeln nichts sagen kann.
Andererseits gibt es die von mir geschilderten Entwicklungen, die ihren Ausgang im Fruchtbaren Halbmond nahmen. Damit ist das Gebiet umschrieben, dass sich vom heutigen Irak, über den Norden von Syrien, den Libanon, Israel, Palästina und Jordanien erstreckt. Auf diesem Gebiets existierten ab 12000 v.Chr. unter anderem die Reiche der Sumerer, sowie der Assyrer oder auch Mesopotamien.
Mit dem Aufkommen des Getreideanbaus konnte sich das Brot als Nahrungsmittel etablieren, aus dem sich dann im weiteren Verlauf die Nudel zu entwickeln begann.

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